Ans Ende der Welt

Haben wir uns verfahren? Das fragen wir uns, als wir ein nach paar Stunden Fahrtzeit von Srinagar aus, von wunderschönen Bergen umgeben auf einer saftig grünen Wiese stehen und uns wie zu Hause in den Alpen fühlen. Die Luft ist herrlich sauber und frisch, es weht ein kühler Wind und wir sind… Allein! Endlich! Und das in Indien! Natürlich nicht lange. Plötzlich ist der Schrödinger von tausend meckernden Ziegen umgeben und drei Schäfer starren uns entgeistert an. Naja, wäre ja auch zu schön gewesen. Doch die drei sind freundlich und nachdem sie uns eine Packung Milch abgeluchst haben, ziehen sie auch schon wieder von Dannen. Und uns quält seitdem die Frage, wie jemand, der 1.000 Ziegen besitzt, so scharf auf eine Packung Milch sein kann?!

Daheim in den Alpen?
Daheim in den Alpen?
In Indien ist man eben nie allein
In Indien ist man eben nie allein
Schäfer in Ladakh
Schäfer in Ladakh

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Der berüchtigte Manali-Leh-Highway, der durch die indischen Bundesstaaten Jammu & Kashmir und Himachal Pradesh führt, stand von Anfang an ganz weit oben auf unserer Reise-To-Do-Liste. Und jetzt sind wir schon fast mittendrin. Auf einer der höchsten befahrbaren und angeblich auch einer der gefährlichsten Straßen der Welt. Wegen der angenehmeren Höhenanpassung haben wir uns dazu entschieden, die Strecke im Uhrzeigersinn zu fahren: Von Srinagar nach Leh und dann, nach einem Besuch im Nubra Valley, weiter bis nach Manali.

Während der erste Tag auf der Strecke von Srinagar nach Leh noch, Dank der Ähnlichkeit zum Alpenland, mit großen Heimatgefühlen verbunden ist, sind wir am zweiten nur noch am Fluchen. Gefühlt tausend indische Touristen haben sich ebenfalls auf dem Weg zum Khardung La Pass auf 5.600 Höhenmetern gemacht, was für die Verkehrslage nichts Gutes bedeutet. Auf den engen, kurvigen Straßen werden sich Wettrennen geliefert, es wird gehupt und gedrängelt, was das Zeug hält. Unsere Nerven liegen irgendwann nur noch blank. Geht das jetzt jeden Tag so weiter? Michi sieht irgendwann komplett rot und versichert mir wutentbrannt, dass er mit keinem Inder dieser Welt noch ein Wort reden und lachend dabei zusehen wird, wie sie sich gegenseitig in den Abgrund drängeln.

Stau Richtung Leh
Stau Richtung Leh

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Es dauert nicht lange und vor uns stürzt tatsächlich ein indischer Motorradfahrer bei voller Fahrt. Eben noch rot vor Zorn springt Michi sofort aus dem Auto, verarztet den Verunglückten mit Pflastern, Verbänden, gutem Zureden, verteilt Schmerztabletten und ist bei unserer Weiterfahrt total bestürzt darüber, dass er vor lauter Aufregung ganz vergessen hat, dem armen Biker noch eine Flasche Wasser da zu lassen. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Wir lassen den jungen Mann, der sich zum Glück nur ein paar Schürfwunden und Prellungen zugezogen hat, in der Obhut seiner Freunde zurück und konzentrieren uns wieder auf das bevorstehende Abenteuer.

Die Landschaft verändert sich mehr und mehr. Prägten zuvor noch Berge und Wiesen das Bild, wird die Gegend nun immer wüstenähnlicher. Alle 30 Kilometer zeigt die Region Ladakh ein neues Gesicht. Mal sind die Felsen lila, mal grau, mal wirken die Berge wie riesige hellbraune Sandhaufen. Der Himmel hebt sich in tiefem blau von den schroffen Felsen ab. Zum ersten Mal in unserem Leben sind wir uns bewusst, das wir tatsächlich auf einem Planeten leben. „So stelle ich es mir auf dem Mars vor!“, konstatiert Michi. „Oder auf Tattooine!“, entfährt es mir. „Wo soll das denn bitte sein?“ ertönt es verwundert vom Fahrersitz. Hach ja. Viel zu lernen du noch hast, mein junger Ehemann.

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Nach drei Tagen Fahrt erreichen wir die beschauliche Kleinstadt Leh. Sie gehört mit ihrer Lage auf 3.500 Höhenmetern zu den höchstgelegenen ständig bewohnten Städten der Welt. Ein paar Tage bleiben wir hier, um uns an die Höhe zu gewöhnen. Dies fällt vor allem mir diesmal ziemlich schwer. Mich plagen Kopfschmerzen und ich bin ständig außer Atem. Beim Bummeln durch Leh treffen wir auf Luis aus Freudenstadt. Er ist den ganzen Weg von Deutschland mit seinem Motorrad bis nach Ladakh gereist und wir stellen beim Plaudern fest, dass wir den selben Konvoi durch Myanmar gebucht haben. Was für ein Zufall!

Leh
Leh

Nach dem Zwischenstopp in Leh steht uns und dem Schrödinger die erste große Herausforderung bevor: Es geht steil nach oben auf den Kahrdung La Pass. Zuvor füllen wir an der Tankstelle noch alle Ersatzkanister mit Diesel. Treibstoff ist auf der gesamten Strecken wenig bis gar nicht zu bekommen. Die Straße zum Pass ist anfangs noch ganz passabel. Später wird sie eng und ist eigentlich nicht mehr wirklich vorhanden. Sie ist zerfurcht von riesigen Schlaglöchern, überspült von Gletscherwasser und immer wieder rollen von den Hängen Steine herab. So ein Berghang wird doch nicht plötzlich, ausgerechnet, während wir unterhalb vorbeifahren in Rutschen kommen?Langsam und schaukelnd quälen wir uns bergauf. Gegen Mittag haben wir es geschafft! Im Gegensatz zum großen gelben Schild auf dem Pass, das eine Höhe von 5.600 Metern vorgibt, zeigt unser Höhenmesser gerade einmal 5.300 Meter an. Egal, 300 Meter hin oder her, wen interessiert das schon?

Auf dem Khardung La Pass
Auf dem Khardung La Pass
Wüste vor Hundar
Wüste vor Hundar

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Abends erreichen wir das Bergdorf Hundar, wo wir uns mit einer Gruppe bestehend aus dem Neuseeländer Archie, der Kanadierin Arianne und den Holländern Elin, Eddie, Mike und Charles treffen, die wir tags zuvor in Leh kennengelernt haben. Wir können den Schrödinger im Garten ihres Guesthouses parken und verbringen bei einem Lagerfeuer einen gemütlichen Abend miteinander. Sie laden uns ein, dem Schrödinger am nächsten Tag eine Pause zu gönnen und mit ihnen ins Nubra Valley zu fahren.

Das lassen wir uns nicht zweimal fragen. Am nächsten Morgen springen wir in ihren gemieteten schwarzen Mahindra und lassen uns ins Valley kutschieren. Wir wollen versuchen, so nah wie möglich an die pakistanische Grenze zu fahren. Während wir es genießen, uns mal keine Sorgen um unser Geschirr, die Reifen und die Stoßdämpfer machen zu müssen, wechseln sich die anderen immer wieder auf dem Fahrersitz oder den beiden Royal Enfield Motorrädern ab. Die Grenze ist leider weiträumig abgesperrt, dort gibt es nicht viel zu sehen. Doch der Weg hin und zurück war so voller neuer, gewaltiger Eindrücke, dass es am Ende niemanden wirklich interessiert, dass wir Pakistan doch nicht gesehen haben.

Mit dem Mahindra ins Nubra Valley
Mit dem Mahindra ins Nubra Valley

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Zusammen machen wir uns am nächsten Tag noch auf dem Weg zum Pangong Tso – einem heiligen See auf 4.238 Metern. Schon von weitem kann man das strahlende Blau des Sees erkennen. Ein wirklich heiliger Anblick! Doch viel haben wir an diesem Tag nicht mehr vom glasklaren Bergwasser. Es dämmert bereits und wir sind alle von der vielen, anstrengenden Fahrerei so müde, dass wir bereits um neun Uhr Abends in die Betten fallen. Während die Anderen sich am nächsten Tag leider bereits verabschieden müssen, suchen wir uns mit dem Schrödinger ein ruhiges Plätzchen direkt am Wasser und genießen die unberührte Natur.  Ein seltenes Erlebnis in Indien.

Der Pangong Tso leuchtet schon von Weitem in tiefem blau
Der Pangong Tso leuchtet schon von Weitem in tiefem blau

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Seit über eine Woche sind wir nun bereits in Ladakh unterwegs. Der Schrödinger ist schon lange nicht mehr silbern sondern fast gänzlich braun und auch wir sind ständig mit einer dicken Staubschicht überzogen. Die Fahrten werden immer anstrengender. Mit jedem gefahrenen Kilometer stellen wir mehr und mehr fest: Die neuen 70-Euro-Stoßdämpfer aus Mumbai versagen schleichend ihren Dienst. Der Schrödinger schaukelt wie ein Schiff auf hoher See. Selbst den mit Klebeband gesicherten Schränken scheint immer wieder schlecht zu werden und sie erbrechen ihren Inhalt buchstäblich ins Wageninnere, nur um sich danach wieder wie von Geisterhand zu schließen. Besteck, Geschirr, Schuhe und Kleidung ergießen sich im Minutentakt in die Kabine. Die Milch fließt aus dem Kühlschrank, der Tisch verrutscht und sogar mein Laptop kommt plötzlich in hohem Bogen aus einem der Schränke angeflogen! Jeden Abend sind wir erst einmal eine Stunde lang damit beschäftigt, dem Chaos wieder Herr zu werden. Und trotzdem: Die gewaltige Berglandschaft ist alle Mühen wert!

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Auch unser Auspuff musste zwischenzeitlich dran glauben. Er ist irgendwann einfach in der Mitte durchgerissen. Auf einer schmalen Straße will uns ein LKW einfach nicht ausweichen. Er drängt uns an den Rand und reißt uns fast die Markise von der Kabine. Michi ist hocherfreut, was er auch den LKW-Fahrer deutlich spüren lässt. Nicht gut, für unser Karma-Konto, denke ich noch. Einige Tage später tut es dann auch schon einen lauten Schlag im hinteren Bereich des Autos und wir stellen zu unserer großen Freude fest, dass nun auch noch eine unserer neuen Federn aus Mumbai gebrochen ist. Zum Glück können wir, wenn auch noch langsamer, damit weiter fahren. Da wir noch genügend Zeit haben, bis wir Ende Juli an der Grenze zu Myanmar sein müssen, entschließen wir uns daher, zurück nach Kathmandu in die Overlander-Werkstatt zu tuckern. Eine Pause für uns, Wellness-Programm für den armen Schrödinger, der uns trotz allem sicher und verlässlich bis fast ans Ende der Welt gefahren hat.

6 Antworten auf „Ans Ende der Welt“

  1. Ihr Lieben!

    Tausend Dank für das Teilen Eurer grandiosen Erlebnisse und unserer To-do-List der nächsten Wochen!;-)

    Möge der Schrödinger bald wieder fahren und jede Alternativroute die vorherig Geplante angemessen ersetzen – ich bin mir sicher, es ist so!

    Von Herzen
    Eure Joana

  2. Was für Eindrücke, echt genial! Und wenn ich bei euch so mitlese, freuen wir uns umso mehr dass es bei uns nächstes Jahr los geht.
    Ja gönnt dem Schrödinger ein paar Wellnesstage, er hat es sich wirklich verdient. Bin echt schon gespannt wie euch Myanmar gefällt. Wie ist dort die geplante Route?
    Gibt es eigentlich einen Termin bis wann ihr in Thailand sein wollt? Fährt ihr dann wieder zurück?
    Liebe Grüße und viel Glück auf eurer Tour aus dem Ösiland.

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