Auf der Suche nach dem Mount Everest (III)

Tag 9: Von Gorak Shep (5.140 m) zum EBC (5.364m) und zurück nach Lobuche (4.910 m) – Gehzeit: ca. 8 Stunden

Aufstehen, heißt es um sechs Uhr morgens. Es ist bitterkalt. Dass kein Wasser zum Waschen in unserer Unterkunft vorhanden ist, finden wir unter diesen Umständen nicht weiter tragisch. Wir packen ein paar Sachen in einen unserer Rucksäcke und lassen den Rest in der Dining Hall stehen. Der Weg zum Basecamp dauert nur zwei Stunden und es sind nur noch 200 Höhenmeter zu überwinden. Eigentlich ein Spaziergang. Eigentlich. Wären wir nicht bereits auf über 5.000 Metern angelangt. Der Sauerstoffanteil in der Luft liegt gerade einmal noch bei 51 Prozent. Ganz langsam arbeiten wir uns vorwärts, doch jeder Schritt ist anstrengend. Obwohl es kaum bergauf geht, fühlen wir uns wie zwei Kranke, die mit Bronchitis Treppen steigen müssen. Wir haben traumhaftes Wetter. Die Landschaft um uns herum ist einfach nur gigantisch! Rechts neben uns erheben sich majestätisch der Nuptse sowie der Lhotse. Für ganz kurze Zeit haben wir Glück und auch der Everest-Gipfel ist hinter den beiden Bergen auszumachen.

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In der Mitte ist der Gipfel des Mount Everest sichtbar
In der Mitte ist der Gipfel des Mount Everest sichtbar

Es ist fast mucksmäuschenstill. Wir laufen am Rande des Khumbu-Gletschers auf einem gigantischen Geröllhaufen. Irgendwann bemerken wir, dass sich auch unter unserem vermeintlich stabilen Weg über den Steinhaufen das Eis des Gletschers befindet. Plötzlich durchbricht ein lautes Donnern und Grollen die Stille. Mit großen Augen bestaunen wir das Spektakel, dass sich an einer der Steilwände gegenüber soeben abspielt: Eine Lawine rauscht den Berg hinunter und ergießt sich ins Gletscherbecken. Bald erkennen wir am Ende des Tals das Mount Everest Basecamp. Es ist direkt auf den Khumbu-Gletscher gebaut. Die Zeltstadt erstreckt sich über mindestens zwei Kilometer.

Blick auf das Basecamp
Blick auf das Basecamp
Die Zelte stehen direkt auf dem Gletscher
Die Zelte stehen direkt auf dem Gletscher

Um zum Camp zu gelangen, müssen wir zuerst vom Geröllhaufen hinunter steigen um auf der anderen Seite ein Stückchen nach oben auf den Gletscher zu laufen. Die letzten Meter bis zur offiziellen Markierung würde ich am liebsten kriechen. Ich kriege kaum noch Luft, meine Beine zittern und ich fühle mich sehr schwach. Zu atmen, aber dennoch keine Luft zu bekommen ist ein furchtbares Gefühl! Endlich haben wir es geschafft. Überglücklich liegen wir uns in den Armen und schießen unsere Siegerfotos.

Erschöpft aber glücklich
Erschöpft aber glücklich

Wir machen eine kurze Pause, um uns zu sammeln. Danach wollen wir das Zelt von Jonas suchen. Schließlich haben wir versprochen, zu kommen. Doch es geht einfach nicht. Bei der Vorstellung noch einen Schritt weiter in das Camp machen zu müssen, wird mir ganz schwindlig. Mein ganzer Körper schreit danach, abzusteigen, mehr Luft zu bekommen. Michi geht es ähnlich. Wir ringen mit uns. Wann hat man schon eine solche Chance? Ein paar Meter stolpern wir noch vorwärts, bis wir schließlich umkehren. Wir haben es wirklich versucht, aber unsere Körper haben auf fast 5.400 Meter gestreikt und uns zur Umkehr gezwungen. Schade, Khumbu-Eisfall. Ich hätte dich so gerne von Nahem gesehen. Und von Jonas und seinem Team können wir uns nun auch nicht mehr verabschieden. Wir hoffen sehr, dass er und seine Freunde den Gipfel erreicht haben. Aber noch mehr hoffen wir, dass sie das Ganze unbeschadet überstanden haben. Wenige Tage später lesen wir in der Zeitung, dass mindestens drei Bergsteiger am Everest umgekommen sind. Gestorben an der gefürchteten Höhenkrankheit. Über 200 Menschenleben hat der höchste Berg der Welt seit seiner Erstbesteigung gefordert. Einer der Toten hat es zu grusliger Berühmtheit gebracht: Der indische Bergsteiger „Green Boots“ liegt seit 1996 unter einem kleinen Überhang neben der Aufstiegsroute. Er und seine markanten grünen Stiefel dienen bis heute als gefürchteter Wegweiser am Mount Everest.

Auf dem Rückweg geht es uns mit jedem Meter abwärts etwas besser. Zurück in Gorak Shep Essen wir noch eine Kleinigkeit und sammeln unser Gepäck wieder ein. Zwei Stunden lang laufen wir noch durch einsetzendes Schneegestöber bis nach Lombuche, wo wir uns wieder im Peak-Hotel einquartieren. Der Trek ist plötzlich wie ausgestorben. Ab jetzt sind wir so gut wie alleine unterwegs.

Tag 10: Von Lombuche (4.910 m) nach Dzongla (4.830m) – Gehzeit: 3 Stunden

Michi konnte endlich mal wieder schlafen. Kaum sind wir unter 5.000 Höhenmetern fühlen wir uns schon wieder um Einiges besser. Heute morgen meint es Petrus leider nicht gut mit uns. Aber hat er hier im Lande Buddhas überhaupt etwas zu sagen? Zwar ist es neblig, doch wir sind guter Dinge. Endlich kriegen wir wieder halbwegs Luft! In Dzongla können wir den ganzen Tag die grandiose Aussicht auf den Mount Everest genießen. Morgen wollen wir dann früh aufstehen und bei einer Tasse Tee dabei zusehen, wie die Sonne über dem höchsten Berg der Welt aufgeht. Zunächst geht es einige Meter bergab, bevor ein breites, fast ausgetrocknetes Flussbett queren. Danach steigen wir einige Zeit bergauf bevor der Weg schließlich entlang eines steil abfallenden Berghangs führt. Mit einem Mal reißt die dicke Wolkendecke auf und gibt den Blick auf die vielen schneebedeckten Riesen um uns herum frei.

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Doch lange hält das gute Wetter nicht an und die nächsten dicken Wolken ziehen auf. Das letzte Stück bergauf nach Dzongla ist zwar nicht schwierig, kommt uns aber erneut ziemlich anstrengend vor.

IMG_5909Die letzten Tage fordern wohl langsam ihren Tribut. Angekommen im Guesthouse frage ich natürlich sofort, welcher der vielen Gipfel, die man vom Restaurant aus sehen kann, denn nun der Mount Everest sei. Von der jungen nepalesischen Bedienung ernte ich darauf hin einen Blick, als hätte ich sie gefragt, wo es denn bitte hier zum nächsten Strand geht. Zwei junge Bergsteiger, die mit uns im Restaurant sitzen, sind der Meinung, man könne den Everest von hier aus nicht sehen. Kann nicht sein! Schließlich steht in unserer Wanderkarte, man hätte von hier einen „excellent Mount Everest view“. Ein nepalesischer Guide gesellt sich zu mir und wirft einen Blick auf unsere Karte. Ach, die hätten wir gekauft! Ja da sind einige Druckfehler drin. Der Everest View von Dzongla aus ist einer davon. Hurra! Jetzt sind wir so lange und so weit gelaufen und dann das. Bisher haben wir nur einmal ein paar Minuten lang einen Blick auf den obersten Zipfel des Gipfels erhaschen können und den anderen Aussichtspunkt bei Gorak Shep ausgelassen. Der Abend ist gelaufen und wir verkrümeln uns früh in die viel zu kalten Betten.

Tag 11: Von Dzongla (4.830 m) nach Tengboche (3.870 m) Gehzeit: 8 Stunden

Die Nacht war unschön. Wir haben so sehr gefroren, dass wir kaum schlafen konnten. Die Kälte zehrt an unseren Kräften und ist neben dem Sauerstoffmangel eigentlich das Härteste am ganzen Trek. Wir verzichten auf ein Frühstück und stapfen frühmorgens schon schlotternd los. Wir beschließen, einen anderen Weg zu nehmen uns laufen entlang eines ausgetrockneten Gletschersees. Nach rund drei Stunden kommen wir im Tal von Periche an. Wir sind ein paar hundert Meter abseits der Hauptroute gelandet, weshalb unser Weg nun durch ein steiniges Flussbett mit mehreren Wasserarmen führt. In einigen waghalsigen Aktionen hüpfen wir von Stein zu Stein und schaffen es tatsächlich, nicht nass zu werden. Und das, obwohl ich kurz vor Periche noch fast von einem Inder ins Wasser geschubst werde, der mich natürlich unbedingt überholen musste.

In Periche gönnen wir uns ein ausgedehntes Frühstück. Viel zu sagen haben wir uns nicht mehr, wir sind müde und ausgelaugt. Doch auch die letzten Stunden des Tages bringen wir noch hinter uns und fallen total kaputt in Tengboche in unsere Kissen. Endlich ist es wieder etwas wärmer und so schlafen wir den Schlaf der Gerechten und träumen von einer ausgedehnten Dusche. Mittlerweile muffeln wir echt wie dir Yaks.

Mama-Yak mit Baby
Mama-Yak mit Baby
Tag 12: Von Tengboche (3.870 m) nach Namche Bazaar (3.420 m) – Gehzeit: 5 Stunden

Die Sonne scheint, es ist kein Wölkchen am Himmel und das Beste: Endlich sehen wir den Mount Everest! Ein Anblick wie im Bilderbuch. Zwar ist er nicht ganz so nah, wie wir ihn eigentlich gerne gesehen hätten, aber wir sind wieder versöhnt. Die letzten zwölf Tage haben uns auch in dieser Hinsicht etwas bescheidener gemacht.

Mount Everest Gipfel bei Bilderbuchwetter
Mount Everest Gipfel bei Bilderbuchwetter

Wegen der großen Vorfreude auf die bevorstehende Dusche und die Heizdecken im Hotel scheint sich der Weg nach Namche schier ins Unendliche zu ziehen. Der Weg schlängelt sich am Berg entlang und nimmt einfach kein Ende. Hinter jeder Kurve vermuten wir das gelobte Land, um doch nur wieder einen Blick auf die Nächste zu bekommen.

Der Weg nach Nasche Bazar ist noch weit
Der Weg nach Nasche Bazaar ist noch weit

Endlich blicken wir hinunter auf die bunten Häuschen. Nur noch ein paar Meter müssen wir absteigen. Wir schaffen es fast nicht. Unsere Füße und Knochen schmerzen so sehr und wir ächzen und stöhnen uns hinab. Natürlich nicht in unser Hotel. Erstmal gönnen wir uns um zwei Uhr Nachmittags ein Siegerbier im Irish Pub. Wir teilen uns eine Dose, während der uns fast die Augen am Tresen zufallen. Angekommen im Hotel duscht mir Michi erstmal das heiße Wasser weg und beschwört damit fast unsere erste wirklich ernstzunehmende Ehekrise herauf. Da lasse ich ihm schon gnädigerweise den Vortritt und dann das! Während ich schmollend und vor allem immer noch müffelnd im Hotelzimmer hocke, kümmert sich Michi leicht panisch um das heiße Wasser. Keine zehn Minuten später stehe ich glücklich unter der Dusche und der Ärger ist wieder verflogen.

Tag 13: Von Namche Bazaar (3.420 m) nach Phakding (2.610 m) – Gehzeit: 6 Stunden

Diesen Streckenabschnitt hatten wir eigentlich etwas entspannter in Erinnerung. Doch es geht beständig auf und ab. Vor allem jeder Abschnitt, der uns weiter nach unten führt, geht uns ziemlich auf die Knochen. Michis Füße sind mittlerweile mit Blasen übersät und meine Zehen fangen auch an zu schmerzen. Noch ein Mal überqueren wir die gruslig hohe Hängebrücke und werfen einen Blick zurück auf das spektakuläre Tal.

IMG_5947Um drei Uhr Nachmittags erreichen wir Phakding und gleich am Eingang zur Siedlung entdecken wir eine deutsche Bäckerei. Was für ein Pech, gerade zieht ein Gewitter auf und so müssen wir dort eine Stunde und drei Stücke Kuchen lang ausharren. Später finden wir eine nette Unterkunft. Die Frau quartiert uns außerhalb des Haupthauses ein. Das sei sicherer, falls wir wieder ein Erdbeben hätten. Die kleine Hütte steht direkt an einem steilen Abhang und ich bin mir nicht sicher, ob dies bei einem Beben tatsächlich der bessere Platz wäre. Wobei: Die letzten fünf Beben in den vergangenen Nächten haben wir erfolgreich verschlafen. Wird schon nicht so schlimm sein. Wie erwartet verläuft die Nacht ohne größere Katastrophen.

Tag 14: Von Phakding (3.420 m)  nach Lukla (2.840 m ) – Gehzeit: 4 Stunden

Mittlerweile ist es wieder richtig warm geworden und wir schwitzen ganz schön auf dem letzten Wegabschnitt. Ausgerechnet das letzte Stück geht über zwei Stunden nur noch steil bergauf. Nach fast 14 Tagen wandern echt eine ziemliche Gemeinheit!

Noch eine halbe Stunde bis Lukla
Noch eine halbe Stunde bis Lukla

IMG_0172Die Guesthouses in Lukla sind entweder viel zu teuer oder viel zu schäbig und so dauert es eine halbe Ewigkeit, bis wir etwas halbwegs Annehmbares gefunden haben. Den Rest des Tages vertreiben wir uns die Zeit mit Kuchenessen und ein paar Runden Billard in einem Scottish Pub. Auf dem Rückweg zu unserer Unterkunft schauen wir noch auf ein Bier in einer kleinen Bar vorbei. Dort treffen wir zufällig auf zwei weitere Münchner, die ebenfalls auf dem Trek unterwegs waren. Zu viert feiern wir bis Mitternacht unser großes Abenteuer. Über 115 Kilometer haben wir in den letzten zwei Wochen zu Fuß zurückgelegt und sind unzählige Höhenmeter bergauf und bergab gestiegen. Es war jede einzelne Blase an unseren Füßen wert. Aber jetzt freuen wir uns erstmal auf auf frische Socken und vor allem unser gemütliches Zuhause namens Schrödinger!

2 Antworten auf „Auf der Suche nach dem Mount Everest (III)“

  1. Hallo ihr zwei Weltreisenden, muss gerade so sehr schmunzeln, als ich euer Video sehe, denn der Zischi hat bei unserem LandeAnflug auf Lukla damals gesagt, ich solle mich entspannen, der landet nicht, sondern wir starten durch und drehen noch ne Runde.
    Gefühlte 2 Sekunden später standen wir auf der Landebahn.

    Der Himalaja hat da das erste Mal bewiesen, dass dort oben eben doch eine andere Welt existiert! Es klingt bezaubernd, was ihr erlebt habt. Und Strapazen, aus verweichlichter Europäer Sicht, gehören doch einfach dazu ? seid lieb gedrückt, ellen

    1. Hey ihr Zwei,

      ganz liebe Grüße auch von uns wieder mal aus Kathmandu. ja der Flug war echt ein Erlebnis. Mir ging ganz schön die Düse.

      Wie schaut´s aus mit Silvester 😉

      Dicke Umarmung aus der Ferne!

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