Mongolei: Wo Bob Ross das Träumen lernte

Endlich wieder in Freiheit! Denken wir uns, noch während wir bei der mongolischen Grenzabwicklung stehen. Doch schön präsentiert sich die lang ersehnte Freiheit erstmal nicht. Während ich im Schrödinger warte, dass Michi mit den gestempelten Dokumenten zurück kommt, geraten direkt neben mir zwei Mongolen in einen handfesten Streit. Dieser gipfelt darin, dass einer der beiden Kontrahenten einen riesigen Stein aufhebt und versucht, den Anderen damit zu erschlagen. Er verfehlt den Kopf seines Opfers nur knapp. Der Stein landet jedoch zuerst auf dem Schienbein des armen Mannes und danach auf dessen bloßem Fuß. Der Mann geht zu Boden, das Bein beginnt böse zu bluten. Das Erschreckendste an dieser Szene ist jedoch, dass direkt neben den beiden Streithähnen ein mongolischer Polizist steht und das Geschehen in Seelenruhe beobachtet.

Zwischenzeitlich ist auch Michi vom Zollschalter zurück und beide rufen wir dem Polizisten zu, doch endlich einzuschreiten. Aber dieser versteht uns natürlich nicht und räumt statt dessen lediglich den Stein aus unserer Fahrlinie. Zum Glück sind mittlerweile ein paar weitere Männer zu den Streitenden gelaufen und sorgen für Ruhe. Hoffentlich benötigen wir hier niemals polizeiliche Hilfe! Wir suchen lieber das Weite.

In der Grenzstadt Zamiin-Uud hebt Michi noch etwas Geld für die nächsten Tage ab und ich schaue derweil in den kleinen örtlichen Supermarkt. Was ich dort entdecke, raubt mir fast den Atem. Nur mit viel Mühe unterdrücke ich ein albernes Kreischen. Das übernimmt Michi für mich, der plötzlich hinter mir auftaucht und laut schreit: „Brot! Brot! Oh mein Gott hier gibt es richtiges Brot!“. Wir können unser Glück kaum fassen. Tatsächlich ist es das erste richtige Brot seit November letzten Jahres. Als ich dann auch noch bezahlbaren deutschen Gouda, Essiggurken und Leberwurst entdecke, sind wir schon fast im siebten Schlemmer-Himmel. Heute Abend gibt es Brotzeit! Das mit dem vegetarischen Leben können wir ja in Deutschland wieder anfangen – NACHDEM wir uns einmal quer durch die bayerische Speisekarte gegessen haben. Also irgendwann 2018…

Interessanterweise fühlt man sich in einem mongolischen Supermarkt schon fast wie Zuhause. Das liegt vor allem an den vielen Gut&Günstig Produkten von EDEKA, die es hier zu kaufen gibt. Schokolinsen, Bockwürstchen, Marmelade. Und alles zu normalen Preisen! Zu blöd, dass wir uns noch im teuren chinesischen WalMart mit Essen eingedeckt haben. Das Geld hätten wir uns locker sparen können.

Noch in der Stadt selbst ist es auf einmal vorbei mit der asphaltierten Straße. Plötzlich gibt es nur noch sandige Spuren in der Steppe, die in alle möglichen Richtungen führen. „Wo müssen wir bloß hin? Geradeaus?“ Nein, links sehe ich eine Teerstraße.“ „Aber Ulan Bator liegt doch in der anderen Richtung.“ „Ja, aber es hieß, da führt eine Teerstraße hin und die ist links! Vielleicht macht sie ja eine Kurve?“ „Nimm doch mal den Kompass!“ Ein wenig verwirrt hoppeln wir geradeaus über die Wellblech-Piste und siehe da, die Teerstraße nach Ulan Baator taucht tatsächlich noch auf. Na super, ganze zwei Kilometer haben wir ohne Kompass geschafft. Das kann ja heiter werden!

Doch der Weg in Richtung Ulan Baator ist mehr als einfach. Eine kilometerlange, bestens asphaltierte Straße führt schnurgerade durch die Ausläufer der Wüste Gobi. Obwohl es links und rechts außer Steppe und ein paar Kamele nicht viel zu sehen gibt, sind wir mehr als begeistert von dieser unglaublich schönen Landschaft. Nach nur wenigen Kilometern lenken wir den Schrödinger weg von der Straße und stellen uns mitten in die gelb leuchtende Steppenlandschaft. Den Rest des Tages verbringen wir damit, die Wolken am dunkelblauen Himmel zu beobachten, unsere frisch gejagte Brotzeit-Ausstattung zu vertilgen und unsere wiedergewonnene Freiheit zu feiern. Obwohl es nicht weit ist bis Ulan Baator, benötigen wir dennoch zwei Tage. Jetzt können wir uns endlich wieder Zeit lassen und in unserem Tempo reisen.

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img_6924Ulan Baator selbst empfängt uns leider mit schlechtem Wetter. Wir quartieren uns auf dem Parkplatz des Oasis Guesthouse ein, waschen Wäsche und bringen den Schrödinger, den wir in den letzten vier Wochen etwas vernachlässigt haben, wieder auf Vordermann. Der hat es auch bitter nötig. In China hat sich die Wasserpumpe für den Ladeluftkühler (die wir schon einmal mit dieser leidigen Blumenkette geschrottet haben) endgültig verabschiedet. Auch das Ansaugrohr, das uns auf dem Weg nach Kathmandu geschmolzen ist und das nur notdürftig repariert wurde, wollen wir ersetzen lassen. Die Teile haben wir bereits unterwegs beim örtlichen Mercedes Benz Händler bestellt. Zudem müssen wir uns um die Visa für unsere Reise durch Russland kümmern. Eine brenzlige Angelegenheit. Wenn etwas schief geht und wir nicht mindestens 30 Tage bekommen, stecken wir in der Mongolei fest. Aber darüber wollen wir erst einmal nicht nachdenken.

Wir statten erstmal Dschingis Khan einen kleinen Besuch ab. Ca. 60 Kilometer östlich von Ulan Baator haben die Mongolen erst vor wenigen Jahren eine riesige Statue für ihren großen Helden errichten lassen. Sie ist nicht nur die größte Reiterstatue der Welt, nein, im Sockel befindet sich auch noch der weltgrößte mongolische Stiefel! Gigantisch! Dass wir das noch erleben dürfen! Innerhalb der Statue führen einige Stufen nach oben und man kann auf den Kopf von Dschingis Khan´s Streitross klettern, um von dort die etwas dürftige Aussicht zu genießen. Interessanterweise verlässt man Dschingis Khan´s Körper hierfür ausgerechnet an seiner, sagen wir mal „männlichsten Stelle“. Was sich die Mongolen dabei nur gedacht haben?

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Ohne Worte...
Ohne Worte…

Nach ein paar weiteren entspannten Tagen im Oasis Guesthouse und vielen Gesprächen mit anderen Reisenden steht unsere Route durch die Mongolei schließlich fest: Wir drehen eine große Runde gegen den Uhrzeigersinn durch das Land. Zuerst westwärts Richtung Mörön, dann in einem Bogen über Tsetserleg und Kharkorin in die Wüste Gobi und von dort aus zurück nach Ulan Baator. Bis 17. Oktober haben wir dafür Zeit. Danach laufen unsere Visa aus und wir müssen weiter nach Russland.

Unser erstes Ziel ist das buddhistische Kloster Amarbayasgalant Khiid. Der Weg dorthin ist unsere erste mongolische Offroad-Erfahrung. Das Kloster liegt ca. 25 Kilometer abseits der asphaltierten Straße. Zwei Stunden lang arbeiten wir uns auf den holprigen und vor allem sehr schrägen Pisten nach oben. Ich schicke mehrere Stoßgebete zum Himmel, der Schrödinger möge sich doch bitte nicht zum schlafen auf die Seite legen. Schräge Straßen mag ich gar nicht gerne. Vor allem, wenn sie auf meine Seite geneigt sind. Doch alles geht gut. Leider stehen wir am Kloster vor verschlossenen Türen, doch abermals ist die Landschaft Belohnung genug für uns.

Mit weniger Luft in den Reifen fährt es sich gleich besser
Mit weniger Luft in den Reifen fährt es sich gleich besser
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Dies hier ist noch mit Abstand einer der harmloseren Flussquerungen

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img_6977Zwei Tage später gibt der Schrödinger kurz hinter der Stadt Erdenet ein noch nie gehörtes Geräusch von sich: Ein lautes „Fffrrrt“ tönt plötzlich aus dem Motorraum. „Michi, was war denn das jetzt?!“ „Ich befürchte Schlimmstes…“. Ein kurzer Blick unter die Haube offenbart schnell den Grund des Übels: Der Keilriemen ist gerissen. Weiterfahrt unmöglich. Um uns herum nichts als mongolische Weite und natürlich haben wir auch keinen Handyempfang. Während Michi auf der Suche nach einem Signal erstmal auf einen Hügel klettert, finde ausgerechnet ich den Grund für den gerissenen Riemen: Die Aufhängung der Klimaanlage ist komplett durchgebrochen. Wenigstens wissen wir jetzt auch woher die seltsamen Vibrationen kamen, die uns schon seit ein paar Tagen ein Rätsel aufgeben.

Zwischenzeitlich konnte Michi den mongolischen ADAC erreichen. Wir müssen mindestens zwei Tage an dieser Stelle ausharren, bis sie uns jemanden aus Ulan Baator schicken können. Was soll´s. Ich mach mir erstmal ein Wurstbrot. Ändern kann ich das jetzt auch nicht. Aber wie so oft schon auf dieser Reise geschieht genau in diesem Augenblick ein Wunder. Plötzlich stehen zwei deutsche LKW neben uns. Heraus kommen Sebastian und Christine mit ihrer Tochter Antonia sowie Markus und Heike. „Alles ok bei euch?“. „Nun ja…“. Das Problem ist schnell erklärt. Weiterfahren geht nicht, doch Markus bietet uns an, uns ins 30 Kilometer entfernte Erdenet zurück zu schleppen. Keine Stunde später haben wir dort eine Werkstatt gefunden, die uns helfen kann. Allerdings ist gerade Samstag und wir müssen dort bis Montag warten. Das wäre nun wirklich unser geringstes Problem. Doch die Vier wollen uns nicht so einfach dort stehen lassen und schleppen uns weiter auf eine Wiese außerhalb der Stadt, wo wir uns zusammen ein schönes Lagerfeuer machen und unsere Rettung feiern. Was haben wir nur immer für ein riesiges Glück! Dankbar opfern wir an diesem Abend dem Schutzheiligen der Overlander ein paar Getränke. Bitte bleib uns hold, oh großer Reisegott!

Kleines Overlander-Treffen bei Erdenet
Kleines Overlander-Treffen bei Erdenet
Unsere Retter und ein freundlicher Mongole, der uns mit allerlei mongolischen Spezialitäten versorgte
Unsere Retter und ein freundlicher Mongole

Nachdem wir uns von unseren Rettern verabschiedet haben und der Schrödinger für gerade einmal 80 Euro wieder fit gemacht wurde, können wir unsere Reise Richtung Mörön fortsetzen. Wir folgen dem Tipp eines Overlanders, den wir in Ulan Baator getroffen haben und finden eine wunderschöne Stelle an einem glasklaren Fluss. Dort richten wir uns für die nächsten drei Tage häuslich ein. Das Wetter ist so angenehm, dass ich mich sogar zu einem Bad im kühlen Nass hinreißen lasse. Danach spüre ich meine Finger und Zehen nicht mehr. Himmel, ist das kalt! Der Bikini verschwindet nun offiziell für den Rest der Reise in den Tiefen des Kleiderschranks.

Zum ersten Mal probieren wir am Fluss auch unsere selbstgebastelte Angel aus. Was unser provisorisches Fischfang-Konstrukt angeht, sind wir beide mehr als skeptisch: Eine Angelschnur mit Haken und Blinker, befestigt an einer ausrangierten Champignon-Dose. Ob das funktioniert? Es dauert keine zehn Minuten und Michi hat die erste Forelle am Haken. Natürlich will ich es auch versuchen und schon nach dem vierten Versuch, zappelt ein etwas weiteres Exemplar an meiner Leine. Ich bin offensichtlich ein Naturtalent! Leider bleibt es erstmal bei diesem Glückstreffer. Die nächsten Tage am Fluss gibt es Nudeln mit Soße.

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img_6970Langsam aber sicher verabschiedet sich der Sommer in der Mongolei. Es wird jeden Tag kühler und vor allem in den Nächten sinkt die Temperatur schon bis auf den Gefrierpunkt. Zeit für uns, langsam in Richtung Wüste Gobi aufzubrechen. Nach Mörön ist es vorbei mit der geteerten Straße. Ab jetzt fahren geht es nur noch querfeldein. Auf sandigen Pisten holpern wir durchs Land, versuchen, nicht jedes Schlagloch mitzunehmen und die angenehmste der unzähligen Spuren zu finden. Manchmal bleibt auf den vielen Wellblech-Pisten jedoch nur die Wahl zwischen Pest und Cholera und wir hoffen, nicht wieder ein paar Schrauben zu verlieren, wie es uns schon in der iranischen Wüste passiert ist. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit liegt nur noch bei zehn Kilometern pro Stunde. Besonders spannend wird es immer bergauf, denn wir müssen eine möglichst flache Spur finden, damit der Schrödinger nicht zu sehr in Schräglage gerät.

Das Landschaftsbild wechselt ständig. Immer wieder kreuzen Viehherden unseren Weg. Wir beobachten Adler und Aasgeier. Unzählige Murmeltiere flitzen vor uns über den Boden, bevor sie mit einem rettenden Satz in ihren sicheren Erdlöchern verschwinden. Das Farbenspiel ist gigantisch und vor allem abends können wir uns an den bunten Sonnenuntergängen kaum satt sehen.

Liebe Mongolei, du bist zwar rau, kühl und anstrengend, dafür aber auch unbeschreiblich schön!

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