Götterdämmerung in Hampi

Wochenlang sind wir an der Küste und den Stränden Westindiens entlang gereist – nun ist es Zeit für ein wenig Kultur. Da wir uns sowieso langsam wieder Richtung Norden aufmachen wollen, beschließen wir, die Tempelstadt Hampi im Nordosten Karnatakas anzusteuern. Laut Reiseführer und diverser Blogs ein ruhiges Fleckchen Indien. Genau das Richtige für uns, um uns für zwei oder drei Tage vom Lärm und den stressigen Fahrten zu erholen. Voller Vorfreude machen wir uns auf den langen Weg. Dieser führt uns zunächst nach Mysore – angeblich die sauberste Stadt Indiens. Die Straße dorthin führt durch den Bandipur Nationalpark. Wir kommen nur sehr langsam voran, da wir immer wieder aussteigen, um die frei herumlaufenden Affen und Elefanten aus nächster Nähe zu beobachten.

In Mysore stellen wir erneut fest, dass das Wort „sauber“ in Indien doch eher ein recht dehnbarer Begriff ist. Nichtsdestotrotz ist Mysore eine freundliche Stadt mit einem imposanten Palast, der Nachts von 100.000 Glühbirnen beleuchtet wird. Der Eintrittspreis zum Palast beinhaltet einen kostenlosen Audioguide, mit dem wir durch die wunderschönen Gemäuer schlendern und die opulenten Gemächer des Maharadjas bestaunen. Für den Nachmittag haben wir einen TukTuk-Fahrer gebucht, der uns die Stadt zeigen soll. Leider entpuppt sich die Tour im Laufe des Tages immer mehr als Kaffeefahrt von einem Museum (Geschäft), das wir besichtigen (in dem wir etwas kaufen) sollen, zum nächsten. Das absolute Highlight unseres TukTuk-Ausflugs ist jedoch, dass Michi sich bei der Fahrt auf den Aussichtspunkt über Mysore einmal selbst hinter das Steuer unseres Gefährts klemmen darf. Unter fachmännischer Anleitung unseres lustigen Fahrers quält er sich fast im Sekundentakt den Gang wechselnd nach oben und ich fühle mich innerhalb kürzester Zeit einem Schleudertrauma bedrohlich nahe. Zum Glück funktioniert das mit dem Schalten beim Schrödinger automatisch…

Zurück auf der Hauptstraße Richtung Hampi kommen wir endgültig von den touristischen Pfaden ab. Statt dicht an die Straße gedrängter Städte, blicken wir aus den Autofenstern auf weites flaches Land, von Sonne und Hitze ausgedörrte Wiesen und viel rote Erde. Hin und wieder fahren wir durch ein paar kleine Dörfer. Es gibt kein fließendes Wasser. Frauen und Männer stehen an vereinzelten Dorfbrunnen an. Kleine Kinder verrichten ihre Notdurft direkt daneben am Straßenrand, der gesäumt ist von Müll, Müll und nochmals Müll. Es macht nachdenklich, wenn man sich bewusst wird, dass unsere neun Quadratmeter Wohnraum im Schrödinger mehr Komfort und Luxus bieten, als sehr viele der in Indien lebenden Menschen jemals in ihrem Leben zu Gesicht bekommen werden.

Das tägliche Leid mit der Schlafplatz-Suche

Wenn die Sonne sich anschickt, langsam am Horizont zu verschwinden, wird es Zeit für uns, einen Schlafplatz zu finden. Nirgendwo fällt uns dies täglich so schwer, wie in Indien. Doch am heutigen Abend wird es richtig kurios. An einer endlosen, staubigen Hauptstraße finden wir einen richtigen, schönen Rastplatz! Eine riesengroße, saubere Teerfläche mit Restaurant. Von einer Mauer umgeben und bewacht von zwei Secutity-Mitarbeitern. Perfek! Kaum haben wir den Schrödinger abgestellt, beginnt auch schon das tägliche Ritual: Eine Gruppe Männer kommt angelaufen und redet wild gestikulierend auf uns ein. Es dauert mindestens eine Viertelstunde, bis zumindest einer der Anwesenden versteht, dass unser hilfloses „No Hindi!“ bedeutet, dass wir ihre Sprache nicht sprechen. In brüchigem Englisch wird uns nun mitgeteilt, dass wir hier nicht stehen dürfen. Auf unsere Frage nach dem Grund, gibt es keine wirkliche Antwort. Der Platz sei nur für Busse und wir sind kein Bus. Dass der Platz völlig leer ist, interessiert jedoch keinen. Außerdem würde der Manager das nicht erlauben. Vorschrift sei Vorschrift. Wie immer bestehen wir darauf, dass der Manager kontaktiert wird, haben aber keine große Hoffnung mehr, denn normalerweise werden wir auch von diesem weggeschickt. Doch diesmal haben wir Glück: Der Manager lässt uns auf seinem Rastplatz übernachten. Aber die Männer vor Ort möchten nun unbedingt, dass wir zumindest umparken. Also tun wir ihnen den Gefallen und lassen uns an eine bestimmte Stelle auf dem Teerplatz lotsen. Wir bitten, noch einen oder zwei Meter nach vorne fahren zu dürfen, damit wir etwas ebener stehen, doch das dürfen wir nicht. Genau auf diesem Platz müssen wir bleiben und dürfen unter keinen Umständen auch nur einen Zentimeter weiter fahren. Da hilft nur: Tief durchatmen. IMG_4988Die ganze Nacht über, sind wir, abgesehen von einem Reisebus, der für ca. eine halbe Stunde anhält, das einzige Fahrzeug auf dem Platz. Wir verstehen die Welt nicht mehr. Am nächsten Morgen klopft es um sechs Uhr an unsere Tür. Der Security-Mann vom Vorabend (ja, er war mit dabei, als wir die Erlaubnis zum Parken bekommen haben) gibt mir zu verstehen, dass wir hier nicht parken dürfen und fahren sollen. Parken sei hier schließlich nur für Busse erlaubt…. Ich kann gar nicht beschreiben, wie frustrierend dieses für uns absolut unverständliche Verhalten ist – und wir erleben es fast jeden Tag.

Von Erholung keine Spur in Hampi

Am frühen Nachmittag erreichen wir endlich die Tempelstadt Hampi. Aber, Moment mal! Was ist denn hier los? Hatten wir nicht irgendwas von ruhig und friedlich gelesen? Tausende Menschen schieben sich mit uns durch die Ruinen. Herzlich willkommen! Heute ist Shiva-Fest! Was soll´s, so ein richtiges indisches Tempelfest sollte man auf jeden Fall einmal mitgemacht haben, denken wir noch, als uns auf dem Parkplatz neben dem Bazaar erstmal ein Mann auf die Motorhaube steigt. Auch ihm bringt Michi auf seine ganz persönliche Art von Diplomatie recht schnell bei, dass man so etwas nicht machen sollte. Ein Pulk Kinder schart sich um uns, möchte Postkarten und Schlüsselanhänger verkaufen und auf unsere Dachleiter kraxeln. Wir sind uns schnell einig, dass wir den armen Schrödinger hier unter keinen Umständen alleine lassen sollten. Glücklicherweise sind die Polizisten vor Ort freundlich uns verständnisvoll und wir dürfen unser Auto auf dem Tempelgelände parken. Wir reihen uns in die Pilgerschar ein und sind gespannt auf das Shiva Fest im Hof des großen Tempels. Wir erfahren, dass alle Menschen, die zum Fest gekommen sind, heute die ganze Nacht wach bleiben werden, um zu beten. In einer Art Innenhof vor dem Tempel sitzen schon tausende Menschen auf Picknickdecken und warten auf den Beginn der Gebete. Mit einigen wenigen anderen Touristen betreten wir das Innere des Tempels und werden von den Pilgern freundlich eingeladen uns Alles anzusehen und Fotos zu machen. Kinder scharen sich um uns und möchten von uns fotografiert werden. Die Stimmung ist entspannt und fröhlich. In einer Ecke steht ein riesiger Elefant, der die Pilger segnet. Kaum hat er ihn entdeckt, gibt es für Michi kein Halten mehr und er drückt dem Elefanten einen Zehn-Rupien-Schein in den Rüssel, die der Dickhäuter sofort treu ergeben an seinen Besitzer weiterreicht. Ein Mann eilt zu Hilfe, drückt Michis Kopf etwas nach unten (der Elefant ist so große Menschen offensichtlich nicht gewöhnt) und Michi wird mit einem Rüsselstubser links und rechts gesegnet. Mit leuchtenden Augen kommt mein Mann angelaufen und teilt mir begeistert mit: „Du, der nimmt sogar Münzen!“.  Wir treffen auf Dagmar und Thomas. Zwei Münchner, die ihren Ruhestand als Backpacker genießen und lassen zusammen mit ihnen den Abend in einem kleinen Dachrestaurant ausklingen. Als wir später zum Schrödinger zurückkehren ist der Platz um ihn herum vollständig von einer schlafenden Gruppe Frauen vereinnahmt worden. Sie liegen im Freien auf einer Plastikplane und bescheren uns durch ihre Anwesenheit eine ruhige Nacht. Während ich langsam einschlafe, freue ich mich noch darüber, dass wir durch unsere Art, mit dem Auto zu reisen, wirklich mitten drin im Geschehen sein dürfen. Zusammen mit den anderen Pilgern vor dem großen Tempel in Hampi zu schlafen – Wer kann schon von sich behaupten, das erlebt zu haben!

Jetzt reicht´s uns dann aber doch

Doch meine Euphorie hält nicht lange an. Am frühen Morgen werden wir erstmal durch laute Würge-, Rotz- und Spuckgeräusche geweckt. Neben unserem Auto befindet sich ein Wasserhahn, an dem die Inder lautstark ihr morgendliches „Reinigungsritual“ durchführen: Rotzen was das Zeug hält. Daran werden wir uns wohl nie gewöhnen. Ich stehe auf und mache uns erstmal einen Kaffee. Plötzlich starren mich zwei große Augenpaare durch das Fenster an. Mir fällt vor Schreck fast die Tasse aus der Hand. Doch es sind nur zwei Äffchen, die mich neugierig beim Kaffeekochen beobachten und mit ihren Freunden in den Bäumen herumtoben. In Hampi wimmelt es nur so von Affen, die auf unserem Dach spielen und zum Glück nur die Scheibenwischer der anderen Autos demolieren. Ein Heidenspaß! Da es sehr heiß ist, beschließen wir, unseren Kaffee draußen zu trinken. Keine gute Idee. Es dauert genau fünf Minuten und wir sind von mindestens 20 Menschen umringt, die uns mit offenen Mündern anstarren. Da ich ein ziemlicher Morgenmuffel bin, wird es mir dann doch etwas zu viel und ich verziehe mich auf die andere Seite vom Schrödinger. Auch keine gute Idee. Denn diese diente den Pilgern offensichtlich morgens als Sichtschutz und wurde als Klo missbraucht. Das ist Indien. Immer wenn man denkt, man hätte schon Alles gesehen, kommt es noch dicker. Meinen Mann, der mir mittlerweile ebenfalls von den zahlreichen Beobachtern genervt, gefolgt ist, schaue ich nur resigniert an und sage: „Du, ich glaub, jetzt ist gut mit Indien für mich.“ Zum Glück sind wir uns einig. Den Rest des Tages verbringen wir daraufhin damit, Reiseführer und Karten zu wälzen, Klimatabellen zu vergleichen und Fahrtzeiten zu berechnen. Der Entschluss steht bald fest. Jetzt geht es nur noch auf dem schnellsten Wege Richtung Nepal. Bevor wir den nördlichsten indischen Bundesstaat Kaschmir erkunden können, brauchen wir erstmal eine Auszeit von „Incredible Inda“.

Doch der Weg dorthin ist noch weit. Über 2.000 Kilometer liegen noch vor uns. Und diese wollen wir so schnell wie möglich hinter uns bringen.

 

4 Antworten auf „Götterdämmerung in Hampi“

  1. Wiedereinmal wunderschön geschrieben, man kann fast leibhaftig beim lesen miterleben was euch widerfährt.
    Die Erkenntnis Indien bald hinter euch zu lassen hätte ich von euch viel früher erwartet nach Allem was ihr tagtäglich erlebt.
    Gute und sichere Weiterreise

    1. Hi Tom, schön, von dir zu hören!

      Naja die Erkenntnis war schon früher da, nur leider kommt man mit dem Auto nicht so schnell aus Indien weg, selbst, wenn man es möchte. Und irgendwie denkt man sich auch die ganze Zeit: Jetzt bin ich schon mal hier, jetzt will ich auch noch dies und das sehen.

      Jetzt sind wir in Nepal und hier fühlen wir uns super wohl. Das wäre auch bestimmt was für euch als nächstes Reiseziel, falls ihr Berge genauso mögt, wie wir 🙂

    1. Hey ihr Zwei,

      wir hoffen ihr seid gut daheim gelandet und meldet euch mal wieder, wenn ihr dann in Thailand seid. Man trifft sich doch schließlich immer zwei Mal im Leben 🙂

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