Von Gasproblemen und Gastfreundschaft

Wegen des dichten Verkehrs in und um Istanbul schaffen wir es bis Einbruch der Dunkelheit gerade einmal bis ins 90 Kilometer entfernte Yalova. Vor einer Wohnanlage am Strand stellen wir den Schrödinger ab und feiern bei einem Glas Wein unsere Ankunft in Asien. Es ist halb elf, als es plötzlich an der Tür klopft: „Hallo, Polizei, Ihre Pässe bitte!“ Wir sind ein wenig verwirrt, denn der angebliche Polizist ist sehr jung und noch dazu in zivil. Er zeigt uns seine Marke, wir ihm unsere Pässe. Auf unsere Frage, ob es ein Problem gibt, meint er nur: „No problem, just for your safety!“ Beruhigt widmen wir uns wieder dem Inhalt unserer Weingläser.

Fünfzehn Minuten später erneut: Klopf, klopf. Wer kommt denn nun? Wir öffnen die Tür und sind erstmal sprachlos. Offenbar hat der Polizist nun seine Freunde mitgebracht. Vor uns stehen rund 20 Polizisten in Uniform und zivil, dazu mehrere Einsatzfahrzeuge und jede Menge Blaulicht. Wegen uns? Das wäre doch nicht nötig gewesen! Dass ich jetzt aber doch etwas nervös werde, brauche ich an dieser Stelle wohl nicht zweimal zu erwähnen. Was wollen die nur von uns?

Zwei ältere Polizisten verlangen erneut nach unseren Pässen. Einer spricht English. Er fragt uns freundlich, wo wir her kommen, wo wir hin wollen, was wir beruflich machen und warum ich in meinem Pass ein Foto mit Kopftuch (Iranvisum) habe. Zwischendurch unterhält er sich immer wieder auf türkisch mit seinem Kollegen, der sich eifrig Notizen macht und das Ganze per Telefon weiter gibt. Während ich etwas verunsichert versuche, herauszufinden, worum es eigentlich geht, schlendert Michi gemütlich mit seinem Weinglas in der Hand durch die Polizistenschar. Der Mann hat Nerven!

Nach einer halben Stunde Ckeck all unserer Papiere und der weiteren Route, ist der Spuk so schnell vorbei, wie er angefangen hat. Die Polizisten ziehen wieder ab, einer schnorrt sich noch eine Zigarette von uns und wir stehen wieder alleine in der Dunkelheit. Was genau nun das Problem war, wissen wir bis heute nicht. Wir vermuten aber, dass die derzeit angespannte Lage in der Türkei der Grund für die ausführliche Kontrolle war.

Am nächsten Morgen weckt uns der Kühlschrank mit einem lauten Klickern. Das Gas ist aufgebraucht. Nicht gut. „Kein Problem!“, meint Michi, er habe im Internet gelesen, man könne das Gas an jeder Tankstelle wieder auffüllen lassen. Stolz präsentiert er mir außerdem einen Satz Adapter und freut sich, dass er vor der Abfahrt noch an dieses wichtige Detail gedacht hat. Wir fahren die erste Tankstelle an, fragen nach Gas, doch der Tankwart winkt ab. Die Anschlüsse passen nicht und auch die Adapter sind wenig hilfreich. Nach zwei weiteren Fehlversuchen an anderen Tankstellen nehme ich das Adapterpäckchen genauer unter die Lupe und entdecke die Aufschrift „EU“. Aha, da haben wir das Problem.

Sofort hat Michi eine weitere Lösung parat: Wir kaufen einfach eine neue Gasflasche in einem der vielen kleinen Shops. Wir steuern mindestens vier verschiedene Läden in der Nähe der Stadt Bursa an, doch wir finden keine Flasche, auf die unsere Adapter passen. In einem der Geschäfte empfiehlt man uns die nahegelegene Gasfabrik anzufahren. Der Verkäufer ruft sogar eigens dort an, um nachzufragen, ob man dort unsere Flaschen wieder befüllen kann. Doch Fehlanzeige. Auch in der Fabrik kann uns keiner helfen. Mittlerweile sind unsere Lebensmittel verdorben und wir können ohne Gas auch nicht kochen oder duschen. Die Stimmung ist verständlicherweise etwas gedämpft.

Im Internet finden wir eine Caravan-Firma in Bursa. Wir quälen uns durch ein Industriegebiet mit engen Straßen, nur um vor Ort festzustellen, dass die Firma lediglich Fenster für Wohnmobile herstellt. Frustriert stehe ich auf der staubigen Straße, als plötzlich ein Mann auf mich zukommt. Er spricht perfekt Englisch und fragt, ob er mir helfen kann. Ich erkläre ihm unser Problem und er greift sofort zum Telefon. Wir folgen ihm zu einer Firma, die Mercedes-Transporter zu schicken Kleinbussen umbaut. Dort erwarten uns schon Export-Manager Emer und sein Chef. Sie können uns leider auch nicht weiterhelfen, doch der Chef der Firma packt uns kurzerhand zusammen mit unseren Gasflaschen in sein Auto und fährt uns eine Stunde lang quer durch Bursa, in der Hoffnung jemanden zu finden, der uns helfen kann. Leider ohne Erfolg. Dennoch sind wir geplättet von so viel Freundlichkeit. Die beiden haben für uns einfach alles stehen und liegen gelassen und gute zwei Stunden lang versucht uns, wildfremden Menschen, zu helfen.

IMG_3915Wir verbringen die Nacht an einer Raststätte und versuchen unser Glück am nächsten Morgen in der Stadt Akhisar. Unser Plan: Ein Industriegebiet finden und dort einen Adapter für unsere Gasflaschen anfertigen lassen. Leider finden wir niemanden, der Englisch spricht und so finden wir natürlich auch das Industriegebiet nicht. Ich laufe auf gut Glück in ein Fahrradgeschäft, um nach dem Weg zu fragen und treffe dort auf Akif, seinen Bruder Nuri und ihren Vater.Akif spricht glücklicherweise Englisch. Sein Bruder meint, einen Ort zu kennen, wo wir unsere Flaschen befüllen lassen können und so packen wir ihn zusammen mit seinem kleinen Sohn und Akif als Übersetzer auf den Beifahrersitz und fahren los.

NaIMG_3909ch kurzer Fahrt dann erst einmal die große Ernüchterung. Sie haben uns zu einer Tankstelle gebracht. Nachdem wir an diversen Tankstellen mehrfach unser Glück versucht haben, wissen wir, dass das nicht funktionieren wird. Nuri diskutiert ein wenig mit dem Tankwart, als der plötzlich mit dem Kopf nickt. Kann das wahr sein?
Wir erfahren, dass sie unsere Flaschen befüllen, jedoch erst nach neun Uhr Abends, da dies in der Türkei illegal ist und sie ihre Zulassung verlieren könnten, wenn man uns erwischt. Wir können es kaum glauben. Endlich wieder duschen, kochen und vor allem den Kühlschrank wieder benutzen!

Da wir noch ein paar Stunden warten müssen, vertreiben wir uns die Zeit bei einem Cai in der Werkstatt von Akif´s Vater und mit einem Friseurbesuch. Eine ganz schön gruslige Angelegenheit, wenn man sich nicht mit dem Friseur verständigen kann! Aber alles geht gut und ich finde, das Ergebnis kann sich sehen lassen (Michi auch und das ist natürlich das Wichtigste).

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Am Abend füllen wir dann tatsächlich unsere Gasflaschen und wollen Nuri, Akif und Papa zum Essen einladen. Doch das kommt ihnen überhaupt nicht in die Tüte! Wir sollen mit zu ihnen nach Hause kommen und bei ihnen essen. Wir erklären, dass sie schließlich uns geholfen haben und wir uns mit einem Essen erkenntlich zeigen wollen. Doch wir haben keine Chance und so sitzen wir kurze Zeit später mit der gesamten Familie am Tisch. Mama hat zwei verschiedene türkische Suppen gekocht. Dazu gibt es eingelegten Auberginen und als Nachtisch Honigmelone. Akif kommt kaum zum Essen, da er für alle übersetzen muss.

IMG_3369Nach dem Essen sitzen wir noch zusammen und unterhalten uns prächtig. Ich bekomme von Nuri´s Frau Ayse noch einen Kurs im Kopftuchbinden. Sie schenkt mir ein schönes Tuch, damit ich später im Iran auch etwas Passendes auf dem Kopf habe. Von Mama bekommen wir noch Suppe und Nüsse eingepackt, damit wir auf der weiteren Reise auch ja nicht verhungern. Wir sind total überwältigt und beschämt von dieser Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Traurig aber wahr: Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Deutschland jemand so viel Zeit investiert, um zwei Wildfremden zu helfen, sie dann auch noch mit zu sich Nachhause nimmt und ihnen obendrein noch Geschenke macht.

Ich habe schon öfter gehört, dass Gastfreundschaft gerade in muslimischen Ländern ein hohes Gut ist, doch mit diesem Ausmaß habe ich wirklich nicht gerechnet. Nicht alle Menschen, die wir wegen unseres Gasproblems angesprochen haben, finden in diesem Artikel Erwähnung. Doch egal wen wir gefragt haben: Jeder hat immer sein Möglichstes getan um uns zu helfen.

Satt, glücklich und mit vollen Gastanks können wir nun endlich unsere Fahrt an den Strand bei Izmir fortsetzen. Und ich genehmige mir erstmal die lang ersehnte, heiße Dusche.

6 Antworten auf „Von Gasproblemen und Gastfreundschaft“

  1. Sehr coole Geschichten bis jetzt!
    Aber am geilsten ist ja echt der Name „Schrödinger“ fürs Auto :D, gefällt mir als alter Physiker ja voll, grins
    Viel Spaß Euch

  2. Gibt es in der Türkei andere Türken, als solche die hier sind? Auf alle Fälle lese ich Deine Berichte von zeit zu zeit und bin richtig begeistert, wie Ihr das meistert. Ich glaube Pale ist auch schön langsam von Eurer Reise begeistert. Ich wünsche Euch weiterhin viel Glück und gute Gastfreundschaft auf der weiteren Reise.
    Vergesst die Liebe nicht!!!
    Gruß Onkel Bernhard

  3. Ich grüße Euch.

    Reisen bildet und verändert. Irgendwann seid ihr wieder daheim und werdet viel vermissen.
    Ihr werdet den Virus in Euch haben und dies ein Leben lang.
    Das geht uns allen so, darum wünsche ich Euch heute schon für die nächste Reise
    alles Glück der Welt, aber erstmal kommt wieder gesund nach Hause. Viel Glück.

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