Es ist schon erstaunlich, wie sich das Empfinden für Sauberkeit im Laufe kürzester Zeit ändern kann. Waren wir zu Beginn unserer Reise noch völlig bestürzt über den ganzen Müll in den europäischen Ländern, campen wir nun am Strand von Agonda auf einem Platz, der in Deutschland gut und gerne als kleine Müllhalde durchgehen würde – und fühlen uns sogar noch wohl. Zugegeben, der ganze Müll liegt hinter dem Schrödinger. Vor uns erstreckt sich ein wunderschöner weißer Sandstrand, große grüne Palmen und das Arabische Meer. Selektive Wahrnehmung ist und bleibt eben eine der besten Eigenschaften des menschlichen Gehirns.
Auf Tuchfühlung mit Mensch und Tier
War der südliche Strandabschnitt von Agonda einst ein Insider Tipp für Ovelander, haben ihn zwischenzeitlich auch die indischen Touristen für sich entdeckt. Am Wochenende werden sie zu hunderten mit Bussen an den sonst eigentlich recht idyllischen Strand gekarrt. Dann dröhnt den ganzen Tag schlechter Techno übers Meer, fließt der Alkohol in Strömen. Für uns wird es dann immer etwas ungemütlich. Nicht, weil wir etwas gegen feiernde Menschen hätten. Ganz im Gegenteil! Party on! Aber mit dem Schrödinger ziehen wir Einiges an ungewollter Aufmerksamkeit auf uns. Das bedeutet, es wird fleißig am Bullenfänger gerüttelt, Alles betatscht und genauestens untersucht sowie auch gerne mal sich die Nase an den Fensterscheiben plattgedrückt. Wir kommen mit dem Wegwischen der Fettflecken kaum hinterher. Fast jeden Tag passiert etwas Unvorhergesehenes. Eines Morgens, wir liegen gerade noch im Bett, tut es am Schrödinger einen lauten Knall. Michi schießt wie von der Tarantel gestochen aus dem Auto, nur um festzustellen, dass ein Strandbesucher einfach mal auf unsere Motorhaube schlagen wollte. Ich kann nur soviel zu Michi´s Reaktion darauf sagen: Der Mann wird wohl nie wieder ein fremdes Auto auch nur schief ansehen. Kurze Zeit später, Michi ist gerade beim Einkaufen, wollen plötzlich drei betrunkene Männer zu mir ins Auto kommen. Nachdem sie sich nicht höflich abwimmeln lassen, muss ich erst richtig böse werden und sie lautstark davon scheuchen. Aus der Erfahrung klug geworden, decken wir uns für die kommenden Wochenenden immer gut mit allem Lebensnotwendigen ein, so dass wir den Schrödinger nie aus den Augen lassen müssen. Insgesamt verbringen wir fast drei Wochen am schönen Strand von Agonda und abgesehen von diesen nervigen Zwischenfällen haben wir dort eine richtig gute Zeit. Jeden Tag kommen in- und ausländische Touristen bei uns vorbei und wollen Alles über unsere Reise wissen. Mit einigen freunden wir uns intensiver an und sie besuchen regelmäßig auf einen Kaffee oder ein kühles Kingfisher.
Doch nicht nur vor dem Schrödinger tobt das Leben. Auch auf dem Platz dahinter ist einiges los. Sobald die Touristenmassen abgezogen sind, dösen dort die Kühe im Schatten der Sträucher, spielen Affen in den Bäumen und schnüffelt sich eine kleine Wildschweinfamilie durch den Müll. Ganz ungefährlich sind unsere tierischen Mitbewohner jedoch nicht. Als Michi eines Nachts mit dem Fahrrad ein kleines Wildschweinchen erschreckt, rächt sich das Mutterschwein für diesen Fauxpas postwendend und scheucht dafür den armen Mann auf schnellstem Wege aus dem Waldstück. Ich bin ein wenig enttäuscht. Wäre er etwas mutiger gewesen, hätten wir vielleicht zur Abwechslung mal wieder was Richtiges zu Essen bekommen. Auch ein Leopard soll im Dschungel hinter unserem Parkplatz wohnen. Wir sind froh, dass er uns nicht besucht hat.
Modern Talking am Wasserfall
Nach fast drei Wochen Yoga, Strand und Lagerfeuer haben wir dann aber doch genug. Es zieht uns wieder auf die Straße, weiter Richtung Süden in den Bundesstaat Karnataka. Unsere erste Etappe führt uns zu den Jogg Falls, den zweithöchsten freifallenden Wasserfällen in Indien. Der Fluss Sharavathi fällt hier 335 Meter in die Tiefe. Leider ist gerade Trockenzeit und so bekommen wir nur das zweithöchste freifallende Rinnsal Indiens zu sehen. Der Aussichtspunkt zu den Wasserfällen wurde zu einem kleinen Vergnügungspark ausgebaut. Es gibts Restaurants, Informationstafeln und natürlich Kühe und jede Menge Affen. Einer davon kann Michi überhaupt nicht leiden und schafft es mehrmals, dass dieser sich lieber im Schrödinger versteckt, bis der böse Affe sich ein neues Opfer sucht. Abends gibt es im Vergnügungspark eine groß angekündigte Lasershow. Zusammen mit 50 Indern warten wir in einem Atrium um einen großen Springbrunnen gespannt auf das Spektakel – und staunen nicht schlecht, als die Wasserfontänen plötzlich zu den Klängen von Modern Talking´s „Brother Louie“ beleuchtet werden. Nach David Guetta übrigens die zweite Plage, die uns schon bis hierher verfolgt.
Wir übernachten unter strenger Beobachtung der anwesenden Taxifahrer, die netterweise für uns eine Herde Kühe vertreiben, auf dem Parkplatz vor dem Vergnügungspark. Um den Schrödinger ein wenig zu tarnen und ihn spirituell auf unser nächstes Ziel einzustimmen, kaufen wir einem fahrenden Händler noch eine rote Blumenkette ab und schmücken damit die Motorhaube. Ein großer Fehler, wie sich später noch herausstellen soll.
Pilgerfahrt nach Udupi
Auf dem Weg zur Pilgerstadt Udupi an der Küste Karnatakas laufen wir am nächsten Tag vom Hunger geplagt in das nächstbeste Restaurant. Als wir nach der Speisekarte fragen, ernten wir nur einen erstaunten Blick. Kurze Zeit später stellt uns ein etwas ausgemergelter dünner Mann einen großen Teller mit einem Haufen Reis vor die Nase. Dazu gibt es zwei dünne Soßen. Etwas verwirrt blicken wir uns um und stellen anhand der ärmlich heruntergekommenen Gestalten an den Nebentischen fest, dass wir uns für unser Mittagessen wohl nicht die beste Adresse ausgesucht haben. Das Essen schmeckt nach nichts, kostet allerdings gerade einmal 50 Cent und obwohl wir nach einem vorsichtigen Blick Richtung Küche nicht dagegen gewettet hätten, überleben wir unsere Mahlzeit unbeschadet.
In Udupi treffen wir uns mit David, den wir über Facebook kennengelernt haben. Er ist gebürtiger Australier und mit seinem Landrover unterwegs nach England. Abends sitzen wir zusammen am Strand und erzählen uns Reisegeschichten. Gemeinsam machen wir uns am nächsten Tag auf zum Krishna Tempel, den ich unbedingt sehen wollte, da im Lonely Planet davon die Rede war, dass Männer diesen nur oben ohne betreten dürfen. Das stellt sich vor Ort leider als gemeine Lüge heraus. Lediglich die Schuhe müssen ausgezogen werden – und zwar von jedem Besucher. Dennoch ist unser erster Tempelbesuch mehr als spannend. Gleich am Eingang befindet sich ein abgetrennter Bereich, in dem ein paar Mönche beten und Opfergaben verbrennen. Daneben steht ein Mann an einem riesigen Topf, der ein wenig an die unsägliche Kannibalenszene aus Quartermain erinnert (kennt den Film eigentlich außer mir überhaupt noch jemand?). Selbstverständlich werden darin keine Menschenopfer gekocht. In Udupi speist man ausschließlich vegetarisch. Die Mönche bereiten in ihren riesigen Töpfen Mahlzeiten für Hilfsbedürftige zu, die jeden Morgen und Abend unter Ausschluss der Öffentlichkeit zum Essen in den Tempel kommen können. Überwacht wird das interessante Treiben im Tempel von einer großen blauen Krishna Statue, die hoch oben auf einer Empore thront. In einem Nebenraum befindet sich eine Art Rundgang durch Steinskulpturen, durch den uns die anwesenden Pilger netterweise in die richtige Richtung schieben. Vorbei an einem heiligen Baum mit brennendem Öl und wieder hinaus in die große Halle. In einem anderen Bereich des Tempels dürfen wir, vorbei an einer riesigen Schlange von Pilgern, einen Blick auf eine mit Diamanten besetzte Krishna-Staue werfen. Während die Pilger von den Ordnern an der Statue regelrecht vorbeigescheucht werden, wird für uns extra Platz gemacht und wir dürfen schauen, so lange wir wollen. Da uns das Ganze etwas unangenehm ist, beeilen wir uns und laufen weiter Richtung Innenhof. Dort befindet sich ein Wasserbecken zur rituellen Reinigung. Flankiert wird das Gebäude von acht Klöstern, deren Mönche sich im Zweijahrestakt mit der Betreuung des Tempels abwechseln.
Zusammen mit Dave spazieren wir noch ein wenig durch die Stadt, kaufen ein paar kitschige Pilger-Accessoires für den Schrödinger und kehren schließlich zu unserem Parkplatz zurück. Dort hat sich schon wieder eine kleine Menschentraube um unsere Autos gebildet und wir stehen einmal mehr für Fragen und Selfies bereit. Die Nacht verbringen wir diesmal am angeblich schönen Strand von Ullal. Wie so oft enttäuscht dieser jedoch mit jeder Menge Müll und ziemlich üblem Geruch. In all den Wochen in Indien sind wir immer noch nicht klüger geworden, was die Beschreibung „schöner“ Plätze in diesem Land betrifft. Dabei befinden wir uns noch im „geordneten“ und „aufgeräumten“ Süden des Landes. Wie wird es dann wohl im Norden aussehen? Doch wir sind guter Dinge. Morgen schon werden wir erstmal die Grenze zum südlichsten Bundesstaat Kerala passieren. Dort erwarten uns eine hoffentlich kühle Hill Station mit Teeplantagen in den Bergen und die berühmten Backwaters.
Beim abendlichen Rundgang um den Schrödinger stellen wir sehr zu unserem Leidwesen fest, dass dieser die Spiritualität von Udupi sprichwörtlich in sich aufgesaugt hat. Die Blumenkette hängt zerrupft aus dem Kühlergrill und blockiert die Ventilatoren der Klimaanlage. Das haben wir ja wieder hervorragend hingekriegt.
Hallo ihr Beiden,hatte euch mit meiner Tochter in Agonda besucht und war freudig überrascht auch heute noch auf Überländer zu treffen,mit all den guten wie auch krassen Geschichten die eben so passieren und die man nicht mehr vergißt.Könnt ihr dann euren Enkeln erzählen sofern ihr überlebt.Schön das es noch mutige Menschen gibt,die Strapazen in Kauf nehmen um fremde Länder zu erkunden.
Wir sind wieder dahoam im sauberen aber leider kalten Deutschland und denken zurück an das dreckige,chaotische und nervige,aber auch liebenswerte Indien.
Viel Glück für eure Weiterfahrt,ich freue mich schon auf euren Bericht vom Manali-Leh-Highway. Jörg und Mira
Dankeschön! Wir hoffen sehr, dass wir das Alles und vor allem Indien überleben 😉 Schön, dass ihr wieder gut daheim gelandet seid und nochmals vielen Dank für die deutschen Zeitungen!
Hallo, Michi und Micha, nochmal danke für das Kaffeekränzchen an eurem Schrödinger in Hampi. Wir hoffen, es geht euch gut auf dem Weg nach Mumbai. Hier ist es, seit ihr weggefahren seid, richtig ruhig und entspannt geworden. Die Inder haben nun keine Attraktion mehr. Dafür ist in der indischen Tageszeitung ein Artikel über euch erschienen. Die haben wir natürlich gleich unserer Hausfrau abgenommen und für euch aufgehoben.
Liebe Grüße und weiterhin gute Fahrt. Daggi und Tomi
Hallo ihr Zwei,
das ist ja lustig, mit dem Zeitungsartikel. Vielen Dank, dass ihr ihn für uns aufhebt! Natürlich ist es wieder typisch, dass alles ruhig wird, wenn wir weiterziehen. Wir erholen uns jetzt erstmal ein paar Tage in Mumbai und dann geht´s zum Taj Mahal. Euch auch noch eine schöne und sichere Weiterreise. Grüßt uns die Heimat und esst´s ein paar Weißwäscht für uns mit!