Indien: Das große Finale

Zugegeben, von Vorfreude kann bei uns nicht gerade die Rede sein, als wir Nepal verlassen und wieder in Indien einreisen. Noch 14 lange Tage liegen vor uns, bis wir dieses Kapitel endgültig abschließen können. Ich kann es kaum erwarten. Zwei Wochen, die mir vorkommen wie eine halbe Ewigkeit. Doch von Anfang an überrascht der Osten des indischen Subkontinents: Mit viel sattgrünem Regenwald und vor allem: Freundlichen Menschen! In nur zwei Tagen durchqueren wir den Staat Westbengal in Richtung Assam.

Fast vermasselt uns eine Ziege die ganze Reise

Unser erstes Ziel auf der letzten Etappe durch Indien ist der Kaziranga Nationalpark in Assam. Beinahe wären wir dort niemals angekommen. Wir düsen gerade mit 60 Stundenkilometern auf der Autobahn (ja, mit unserem Auto und den indischen Straßenverhältnissen ist das für uns mittlerweile quasi Schallgeschwindigkeit), als uns plötzlich eine schwarze Ziege vor den Schrödinger hüpft. Michi bremst leider nicht nur für Tiere, in diesem Fall weicht er dummerweise auch auf die rechte Fahrbahn aus, wo gerade ein Reisbus von hinten herangerast kommt. Nur um Haaresbreite entgehen wir einer schlimmen Kollision. Der Fahrer reißt gerade noch das Lenkrad herum und der vollbesetzte Bus springt mit einem riesen Satz auf den hohen Mittelstreifen. Menschen kreischen, die Fensterscheiben zerspringen und fallen aus dem Rahmen. Es ist schrecklich! Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als würde der Bus auch noch kippen, doch kommt er glücklicherweise nach einigen Sekunden, die sich für uns wie Stunden anfühlen, schaukelnd zum Stehen.

Geschockt fahren wir an den Straßenrand. Schon rennen gut 20 Männer auf uns zu, umzingeln uns und schimpfen wutentbrannt auf uns ein. Jetzt lynchen sie uns, bin ich mir sicher. Wir heben unsere Hände und beteuern immer wieder, wie leid es uns tut. Zum Glück scheint niemand verletzt zu sein. Ein Mann blickt in mein ängstliches Gesicht, um gleich darauf die Meute zu beschwichtigen. Er hat mir die Panik angesehen. Die Männer beruhigen sich ein wenig. Ein Anderer spricht englisch und springt als Übersetzer ein. Wie sollen wir den Schaden bloß bezahlen? Wir haben faktisch einen ganzen Bus zerlegt. Bestimmt sind neben den Scheiben auch die Reifen und Achsen hinüber. Der Busfahrer stellt seine Forderung: 3.000 indische Rupien. Moment mal… Das ist doch gerade mal etwas mehr als 40 Euro!? Ich fasse mich wieder und fange in einem Anflug von Kühnheit das Verhandeln an. Schließlich einigen wir uns bei ca. 30 Euro. Unglaublich! Nachdem wir uns nochmal versichert haben, dass wirklich niemandem etwas passiert ist, fahren wir mit zitternden Knien weiter. Was mit der Ziege passiert ist, wissen wir nicht. Sehr wahrscheinlich wurde sie vom Bus überfahren. Michi ist so sauer auf sich und vor allem die dumme Ziege, dass er drauf und dran ist, beim nächsten Ziegenhändler stehen zu bleiben und eine zu kaufen, damit er sie anschließend überfahren kann. Ich kann ihn nur mit Mühe von seiner Idee abbringen, zumal ich tatsächlich ein wenig Verständnis dafür habe.

Die Autobahn in Assam ist eigentlich ziemlich gut und nur wenig befahren. Aber leider machen die vielen Tiere auf der Straße sie zu einer sehr gefährlichen Angelegenheit. Kühe werden auf dem Mittelstreifen zum Grasen festgebunden und stehen oder liegen dann mit gespannter Schnur mitten auf der Fahrbahn. Links und rechts gäbe es wunderbare grüne Wiesen. Wir verstehen nicht, warum… Ach, lassen wir das. Indien!

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„Es wird nicht langweilig“ Kapitel 234

Da wir nach diesem Erlebnis nicht mehr viel Lust auf Fahren haben, quartieren wir uns für die Nacht an einer Indian Oil Tankstelle ein. Laut Reiseführer sollen die östlichen Staaten Indiens ziemlich unsicher sein und so erscheint uns diese Lösung als die Beste. Am nächsten Morgen bekommt Michi beim Aufstehen erstmal eine kleine Dusche. Die Dachluke im Wohnraum ist undicht. Es regnet rein. Na super. Fünf Minuten später muss er auch noch feststellen, dass es auch in unser Bad regnet. Offensichtlich hat sich der Vogel, der sich heute morgen auf unserem Dach vergnügt hat, unsere Silikondichtung zum Nestbau mitgenommen. Es wird einfach nie langweilig bei uns. In einem Land, in dem man gut und gerne mal zwei Tage mit der Suche nach Milch verbringen kann, Silikon und Bremsenreiniger zu finden, ist eine ziemliche Herausforderung. Wir werden von Shop zu Shop geschickt. Entweder werden wir nur mit offenen Mündern angestarrt, als ob die Verkäufer gerade zwei weiße Geister vor sich stehen hätten oder wir scheitern an der Sprachbarriere. Highlight des Tages: Als Michi einen Verkäufer nach dem Reiniger fragt, ruft dieser erfreut „Ah! Cleaner!“, zieht ein Deo unter dem Ladentisch hervor uns sprüht Michi damit ein. Schließlich finden wir doch noch, was wir suchen und legen am Kaziranga Nationalpark einen Tag Pause ein, um den Schrödinger wieder auf Vordermann zu bringen. Leider hat der Nationalpark in der Monsunzeit geschlossen. Trotzdem haben wir Glück und bekommen zumindest ein Nashorn zu sehen, das friedlich im Wasser vor sich hindümpelt.

Auf der Suche nach Silikon und das halbe Dorf kommt mit
Auf der Suche nach Silikon und das halbe Dorf kommt mit
Kein Nashorn dafür ein hübscher Wasserbüffel
Kein Nashorn dafür ein hübscher Wasserbüffel

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Während wir den Bundesstaat Nagaland durchqueren, werden Straßen und Wetter im schlechter. Es regnet fast den ganzen Tag, die Straßen sind durchzogen von tiefen Schlaglöchern, matschigen Passagen und offensichtlich prähistorischen Asphalt-Resten. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit liegt nur noch bei rund 20 km/h. Im kleinen Dorf Mao überqueren wir die Grenze zum letzten Bundesstaat auf unserer Reise durch Indien: Manipur! Die, laut Reisführer, mit Abstand gefährlichste Region der „Sieben Schwestern“, wie die Bundesstaaten im Osten Indiens auch genannt werden. Früher gab es dort noch Kopfjäger, heute sollen uns in Manipur Guerrilla-Kämpfer und Drogenschmuggler erwarten. Stattdessen winken uns freundliche Menschen vom Straßenrand zu und wir blicken in viele lächelnde Gesichter. In Mao machen wir kurz Halt und bestaunen die vielen exotischen Früchte und Gemüse, die wir noch nie in unserem Leben gesehen haben. Zwischen ein paar Äpfeln entdecken wir ein Glas mit einer besonderen Spezialität: Lebendige rosa Raupen! Igitt! Unwillkürlich schüttelt es mich beim Anblick der sich windenden Würmer. Sehr zur Erheiterung der Marktfrauen, die mir natürlich sofort zeigen, wie man die Raupen isst und versuchen, mich zu überreden auch eine zu probieren. Nie! Im! Leben!

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Ok, nicht Alle lachen uns an. Manche erschrecken sich auch ein wenig
Ok, nicht Alle lachen uns an. Manche erschrecken sich auch ein wenig
Selfie mit Kalaschnikow

Als wir weiter fahren, winkt uns der halbe Markt fröhlich hinterher und der Lonely Planet fliegt gedanklich aus dem Fenster, weit hinein in den dichten Regenwald.

Südlich der Hauptstadt Imphal liegt der wunderschöne Loktak See. Er erstreckt sich weitläufig zwischen grün bewaldeten Hügeln und ist berühmt für seine schwimmenden Grasinseln. Auf einem Hügel dürfen wir es uns auf dem Parkplatz eines kleinen Hotels gemütlich machen. Es ist schon Dunkel, als jemand ins Auto ruft, wir sollen doch zum Cafe des Hotels kommen, dort gäbe es heute Abend Livemusik. Gut gelaunt, finden wir uns dort wenig später ein, um zu erfahren, dass wir bei der Generalprobe des sogenannten „Tribal Euphonic Solo Hunt“ gelandet sind. Manipur sucht den Superstar! Schnell freunden wir uns mit der Crew an. Insbesondere mit Tontechniker Benni, der natürlich sofort einen Selfie mit uns machen will. Als wir in das Display unseres Handys blicken, erschrecken wir uns fast zu Tode, als Benni plötzlich mit einem Maschinengewehr in der Hand hinter uns steht. Er hat es einem nebenstehenden Soldaten einfach schnell weggenommen und grinst nun wie ein Honigkuchenpferd über den Lauf der Kalaschnikow.

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Abgesehen von dieser Schrecksekunde ist Benni jedoch ein sehr lustiger Zeitgenosse, der uns noch eine Eintrittskarte für das Finale des Wettbewerbs schenkt und uns, wie sollte es anders sein, gleich noch mit den Mitgliedern des örtlichen Offroad-Clubs bekannt macht. Zusammen mit der lustigen Truppe lauschen wir den Kandidaten des Wettbewerbs, die ihre Lieder für das große Finale proben.

Im Anschluss laden uns die Jungs des Offroad Clubs „Wilderness Adventures Manipur“ noch zu ihrem Hotelbungalow ein, wo sie erstmal flaschenweise Whiskey, Wodka und Wein auftischen. „Ist in Manipur Alkohol nicht verboten?“, fragen wir erstaunt. „No problem!“, heißt es einmal mehr. „Aber bekommen wir nicht Probleme, falls die Polizei kommt?“. „Die ist schon hier“, grinst uns einer der Männer, von Beruf Polizist, breit an und prostet uns mit einem Glas Whiskey zu. Na gut, dann kann ja nichts mehr schief gehen. Bis drei Uhr morgens sitzen wir zusammen, tauschen uns über unsere Kulturen aus und singen zu den Scorpions. Genauer gesagt – die Anderen singen. Wir können peinlicherweise nicht mal bei „Wind of Change“ richtig mithalten, was die Männer, die offenbar alle Lieder der Band auswendig kennen, zu der Annahme bringt, wir seien eigentlich gar keine richtigen Deutschen. Bei Rammstein´s „Du hast“ können wir jedoch zum Glück unsere Nationalität dann doch wieder beweisen (ausgerechnet!), was zugegebenermaßen bei dem dürftigen Text nicht weiter schwierig ist.

Loktak See
Loktak See

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Mit AJ und Geet vom Offroad Club treffen wir uns am nächsten Tag zum gemeinsamen Mittagessen in einem traditionalen Thali-Restaurant. Jeder von uns bekommt gefühlt 15 Schüsselchen mit verschiedenen köstlichen Gerichten. Am Abend treffen wir uns wieder mit AJ, um gemeinsam in der Stadhalle von Imphal das Finale von „Manipur sucht den Superstar“ anzusehen. Die Show ist wirklich super und da wir zwei Abende zuvor die Gelegenheit hatten, die Kandidaten persönlich kennenzulernen, fiebern wir richtig mit ihnen mit. Nach der Show nimmt AJ uns mit zu sich nachhause, wo wir den Schrödinger im Garten der riesigen Villa seines Vaters parken können. Er ist ein hoher Politiker aus Imphal, der sich sogar die Zeit nimmt, uns in seinem Büro zu begrüßen.

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Riesen-Thali in der Luxmi Kitchen
Das große Finale von Manipur sucht den Superstar
Das große Finale von Manipur sucht den Superstar
Kochkurs auf Manipuri

Eigentlich wollten wir uns am nächsten Tag dann auch schon auf den Weg zur Grenzstadt Moreh machen. Doch wir dürfen nicht. AJ und Geet nehmen uns zum Kochen und Plaudern mit auf eine kleine Farm in den Dschungel, wo wir zusammen mit zehn weiteren Mitgliedern des Clubs den Nachmittag verbringen. Sowohl Geet als auch AJ sind begeisterte Köche und erklären mir die vielen exotischen Zutaten und Gewürze. Ich pule bestimmt über hundert Knoblauchzehen mit der Hand und schaue neugierig bei der Zubereitung von Wildschwein und Hühnchen zu. Die beiden werden nicht müde, mir alles ausführlich zu erklären. Ich freue mich sehr. Mein privater Manipuri-Kochkurs!

Stunden später sitzen wir alle wegen des einsetzenden Monsunregens dicht gedrängt in einem kleinen Pavillon und lassen uns das Essen schmecken. Es wird auf zwei Tellern serviert, in die alle einfach mit den Händen zulangen. Ich glaube, das sollten wir uns jetzt auch anfangen. Was das an Abwasch spart!

Obwohl ich die einzige Frau bin, fühle ich mich dort auf der Farm pudelwohl. Das ist in Indien wirklich eine Besonderheit. Es tut so gut, einfach normal behandelt zu werden. Es ist noch nicht einmal so, dass Alle unbedingt mit Michi reden wollen und ich nur das fünfte Rad am Wagen bin, wie es in solchen Männerrunden schon des Öfteren vorgekommen ist. Geet erzählt mir von der Stammeskultur in Manipur, mit einem seiner Freunde diskutiere ich über Hitler (hier ist auf der ganzen Welt offenbar noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten) und AJ erklärt mir noch ein paar traditionelle Kochrezepte. Seit langem bin ich endlich einmal wieder ein Mensch und nicht „nur“ eine Frau.

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Als es dämmert, beschließen AJ und Geet, dass wir nicht einfach so abreisen können. Wir müssen unbedingt noch eine richtige Abschiedsparty feiern. Und zwar jetzt! Kurzerhand bestellen sie einen DJ auf die Farm, der wenige Zeit später tatsächlich mit Stromgenerator und großen Boxen anrückt, sowie noch ein paar weitere Freunde und ihre Frauen. Am Ende sind wir ca. 20 Leute, die auf der kleinen Farm im Monsunregen tanzen, bis wir bis auf die Knochen durchgeweicht sind. Es wird noch einmal das Essen vom Nachmittag aufgetischt und die Gäste bringen Getränke mit. So einfach organisiert man innerhalb von zwei Stunden eine rauschende Dschungel-Party!

Danke Manipur!

Schweren Herzens verabschieden wir uns am nächsten Morgen von unseren neuen Freunden. Mit dem Versprechen im Gepäck, dass wir all unseren Freunden erzählen, dass Manipur nicht der gefährlichste, sondern der freundlichste Bundesstatt Indiens ist. Dass die Menschen dort, sich über jeden Touristen freuen und jedem gerne ihre großartige, spannende Kultur näher bringen würden. Ein Versprechen, dass wir hiermit sehr gerne einlösen und hoffen, dass wir noch mehr Menschen Lust auf diese, mehr als spannende Region gemacht haben.

Es ist wirklich unglaublich. Auf den letzten Metern machen wir dann doch noch unseren Frieden mit Indien.

Naja. Zumindest mit dem Osten.

6 Antworten auf „Indien: Das große Finale“

  1. Macht immer wieder Freude über Eure tollen Abenteuer und Erlebnisse zu lesen.Noch eine gute und tolle Zeit. Liebe Grüße aus der Heimat.

  2. Hallo ihr zwei Weltenbummler, sehr spannend Eure Berichte! Viel Glück und vor allem Spaß auf der Weiterreise!

    Grüße aus Wels, Uperaustria

    Christa und Dusty

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