Oh Du Indische!

Es ist zwei Uhr morgens als unser Flugzeug zur Landung ansetzt. Obwohl wir seit mehr als 20 Stunden unterwegs sind, bin ich hellwach – und sehr nervös. Gleich sind wir in Indien! Vor keinem anderen Land auf unserem weiten Weg habe ich mehr Respekt. Innerlich bereite ich mich schon mal auf das Chaos vor, das uns am Flughafen erwarten wird: Hunderte Taxifahrer, die uns bedrängen und um unser Geld bringen wollen, bettelnde Kinder, die an unseren Ärmeln und Wertsachen ziehen, garniert mit unangenehmen Männerblicken. Doch ich bin vorbereitet und krame schon mal mein Kopftuch und den Sicherheits-Hüftgeldbeutel aus dem Handgepäck. Tatsächlich läuft es folgendermaßen ab: Als wir das Flugzeug verlassen, betreten wir einen hochmodernen Flughafen, holen, begleitet von von sanften indischen Klängen unser Gepäck ab und schlendern zusammen mit einigen Indern, die sich natürlich überhaupt nicht für uns interessieren, entspannt zu einem klimatisierten Taxi, das sich wenig später mit uns auf den Weg quer durch Mumbai zu unserem Hotel macht. Eins zu Null für Indien.

Doch schon auf der nächtlichen Fahrt wird klar, dass sich Indien deutlich von allem, was wir bisher erleben durften, unterscheiden wird. Die Gehwege, sofern sie vorhanden sind, sind gepflastert von Menschen, die auf dem Boden schlafen. Manche haben Matratzen, manche nur Decken und wieder andere sitzen einfach nur zusammengesunken am Straßenrand. Dazwischen Müll und Ratten. Welcome to India!

 

Ein Hauch von Bollywood

Unser Hotel liegt im Süden von Mumbai, unweit vom Zentrum. Nachdem wir ausgeschlafen haben, erkunden wir die Gegend. Und die ist erstaunlich schön! Exotische Bäume und Palmen sowie riesige Gebäude aus der Kolonialzeit säumen die breiten Straßen, auf denen fleißig gehupt, gedrängelt, überholt und geschimpft wird. Schlimmer als im Iran kommt es uns allerdings bis jetzt noch nicht vor. Was uns fast umhaut, sind die Gerüche. Es ist einfach unfassbar. In einem Moment ist man noch am Würgen, weil es nach Fäkalien und Verwesung stinkt, aber schon im nächsten Moment läuft einem das Wasser im Mund zusammen, weil es unglaublich lecker nach Knoblauch und exotischen Gewürzen duftet.

Vor dem Gateway of India, einem riesigen Steintor und Mumbais bekanntesten Wahrzeichen, treffen wir Tina. Sie ist seit einem Jahr allein auf Reisen und auf der Suche nach Statisten für einen Bollywood Film. House Full 3 soll der Blockbuster heißen und wir könnten mit dabei sein! Warum eigentlich nicht, denken wir und wollen schon fast zusagen, als wir erfahren, dass ein Drehtag mindestens 15 Stunden dauert und wir schon am nächsten Tag unsere schauspielerischen Qualitäten unter Beweis stellen sollen. Obwohl wir eigentlich für jeden Spaß zu haben sind, ist uns das dann doch etwas zu viel für unseren Start in Indien und wir beschließen, uns erstmal aufs Sightseeing zu konzentrieren. Vor dem Gateway of India dürfen wir uns dann trotzdem noch ein bisschen wie Stars fühlen: Zahlreiche Inder wollen sich zusammen mit uns fotografieren lassen, wozu wir wie immer nicht nein sagen.

Böse Überraschung in Mumbai

Gut gelaunt betreten wir kurz darauf das Büro einer Reederei, die uns dabei unterstützen soll, unser Auto in ein paar Tagen aus dem Hafen zu holen. Doch das Unternehmen ist nicht zuständig. Die Männer im Büro sind freundlich und hilfsbereit. Wir werden mit Tee versorgt und sie schicken nach dem Agenten der richtigen Reederei, der auch ein paar Minuten später schon eintrifft. Hoffnungsvoll drücken wir Mustafa unsere Unterlagen in die Hand und fragen, wann wir denn denn den Schrödinger endlich wieder in Empfang nehmen können. „Das Schiff steht noch in Dubai, ich vermute, es kommt irgendwann zwischen Weihnachten und Silvester in Mumbai an. Die Abwicklung im Hafen dauert dann nochmal eine Woche, so dass ihr es irgendwann Anfang Januar dann zurück habt.“ Bam! Das hat gesessen. Völlig entgeistert starren wir Mustafa an. Das kann doch gar nicht sein! Und wir haben uns noch beschwert, dass die Hafenabwicklung in Bandar Abbas fast einen ganzen Tag in Anspruch genommen hat. Was machen wir denn jetzt? Die Hotels in Mumbai sind viel zu teuer und zu schäbig, als dass wir hier noch länger bleiben möchten. Da wir noch mindestens zwei Wochen auf das Auto warten müssen, schlägt Mustafa vor, dass wir uns die Zeit bis da hin in Goa am Strand vertreiben. Doch wir müssen die schlechten Nachrichten erstmal verdauen und verlassen geknickt das Büro. Vier Wochen wird der Schrödinger dann mindestens unterwegs sein. Vier Wochen, in denen eine Menge ungeplante Kosten für Transport, Unterkunft und Verpflegung auf uns zu kommen. Von den zusätzlichen Hafengebühren in Mumbai, über die uns unsere deutsche Reederei natürlich nicht informiert hat, ganz zu schweigen. Als wir am nächsten Tag online die Route unseres Schiffes checken, stellen wir zu allem Übel auch noch fest, dass der Schrödinger wohl gerade im Irak steht. Und wir haben uns schon gewundert, warum er zusammen mit so vielen Toyota Jeeps verladen wurde…

 

Model-Party in Bandra

Aber es muss schon mehr passieren, um uns die Laune so richtig zu verderben. Erstmal verlängern wir unser Hotel um zwei Tage und machen uns hübsch für Happy´s Party. Ihn und seine Freundin Nicole haben wir in Colombo in einem Café kennengelernt und wir freuen uns darauf, die beiden wieder zu sehen. Als wir bewaffnet mit einer Flasche Champagner am vereinbarten Treffpunkt im Nobelviertel Bandra ankommen, ist von einer Party aber weit und breit nichts zu sehen. Etwas enttäuscht genehmigen wir uns ein Getränk in einem Restaurant nebenan, bevor wir wieder den Heimweg antreten wollen. Doch da meldet sich auf einmal Happy bei uns. Offenbar waren wir mit unserer deutschen Pünktlichkeit einfach viel zu früh dran und es waren noch keine Gäste da. Happy holt uns sogar persönlich ab und wir staunen nicht schlecht, als wir uns auf einer ziemlich großen Business-Party mit lauter gut aussehenden Menschen, darunter sehr viele hübsche Mpdels, wieder finden. Happy stellt uns seinen Freunden und Geschäftspartnern vor und erzählt von unserer Reise. Wir kommen aus dem Plaudern gar nicht mehr heraus. Alle wollen von uns wissen, wo wir schon waren und was wir Alles erlebt haben. Mein persönliches Highlight: Eine wirklich hübsche junge Frau löst sich aus der Menge und begrüßt mich, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Meine Gesprächspartnerin klärt mich auf, dass sie mich wohl auch für ein Model gehalten habe und nicht riskieren wollte, mich zu beleidigen, falls man sich schon mal auf irgendeinem Laufsteg dieser Welt getroffen hätte. Das muss mir mit Mitte 30 erstmal jemand nachmachen! Allerdings war es auch schon recht dunkel. Es ist unsere erste Party, seitdem wir in Istanbul das Nachtleben erkundet haben. Nur diesmal richtig nobel, mit leckeren Drinks in einer richtig schicken Bar. Irgendwie haben wir uns das Outdoorleben unterwegs doch etwas anders vorgestellt. Ich bin richtig froh, dass wir tags zuvor noch schnell shoppen waren und uns passend eingekleidet haben. Ein gut sitzendes Hemd für meinen Mann, ein Cocktailkleid mit hübschen Pumps für mich. Ob ich die auf der Reise nochmal brauchen kann?

Wir verbringen ein paar wunderbare Stunden auf dieser Party, sind vom vielen Plaudern ganz heiser und vergessen vor lauter Aufregung natürlich total, auch nur ein Foto von diesem Abend zu machen. Wie blöd! Als wir um zwei Uhr morgens aus der Bar Richtung Taxi stolpern, erwarten uns vor den Türen schon einige zerlumpte Kinder und betteln uns an. Michi schiebt mich in das Auto und ein kleines, schmutziges Mädchen starrt mich durch die Fensterscheibe an. Es ist beschämend. Während die Einen ausgelassen feiern, kämpfen die anderen direkt vor der Tür ums Überleben. Incredible India!

 

Weihnachten und Silvester in Goa

Natürlich sind wir nicht die Einzigen, die auf die Idee gekommen sind, Weihnachten und Silvester am Strand von Goa zu verbringen und so ergattern wir gerade noch ein Busticket und ein günstiges Apartment für das einstige Hippie-Paradies. Als wir im Dunkeln an einer total chaotischen, stinkenden Hauptstraße irgendwo in Mumbai auf unseren Bus warten, stelle ich mir zum ersten Mal die Frage, ob ich es tatsächlich für mehrere Monate in diesem Land aushalten kann. Alles ist laut, dreckig und fremd. Ein Nachtbus nach dem anderen hält an und wir sind beeindruckt, dass die Gefährte so schick und modern sind. Einige haben sogar kostenloses WiFi. Meine Stimmung hellt sich wieder etwas auf. Doch dann kommt unser Bus. Es ist der schäbigste, den wir bisher gesehen haben. Wir bekommen natürlich auch noch das schäbigste Schlafabteil ganz hinten, in dem ich mich einfach neben Michi zusammenrolle und Indien, erstmal Indien sein lasse. Nach fünfzehnstündiger Busfahrt, mit zwei Zwischenstopps an den wohl schlimmsten Toiletten, die das Land zu bieten hat, erreichen wir dann endlich die Stadt Candolim. Laut Internet sieht unser Apartmentkomplex richtig gut aus und hat sogar einen Pool! Doch als wir ankommen, sind die Häuser ziemlich heruntergekommen, der Pool ist leer und am Rand grasen Kühe. Egal, die Nachbarn sind freundlich und unser Zimmer ist hübsch und sauber. Der Strand ist gerade einmal fünf Minuten Fußmarsch von unserer Wohnung entfernt. Wir machen es uns an einer der vielen Strandhütten gemütlich und springen ins Meer. Das Wasser hat Badewannentemperatur, die Wellen machen Spaß. Die Küste von Goa ist sehr touristisch und übervölkert von Engländern und Russen älteren Semesters. Für unsere erste Woche, leihen wir uns einen Roller und erkunden, als Abwechslung zum täglichen Strandprogramm, die Gegend. Im einige Kilometer entfernten Anjuna entdecken wir ein deutsches Café, in dem wir uns zu Weihnachten Gulasch mit Spätzle sowie Bratwürste mit Sauerkraut und Kartoffelbrei genehmigen. Besitzer Ingo leistet uns beim Essen Gesellschaft und erzählt von seiner Zeit als Hippie in Goa. Abends fahren wir ins Partyzentrum nach Baga und beobachten das bunte Treiben in den Straßen. Vorbei kommen hupende Roller, gut gelaunte Menschen, gelangweilte Kühe und ein gepanzertes Fahrzeug mit der Aufschrift „Bombenkommando“. Was?! Mit hochgezogenen Augenbrauen schauen wir uns kurz an, doch Alle anderen sind total entspannt und nehmen keine Notiz von dem Gefährt. Überhaupt ist die Polizeipräsenz an allen Orten in Indien, die wir bisher gesehen haben, sehr hoch. An vielen Clubs, Cafes oder anderen öffentlichen Einrichtungen, werden Handtaschen durchsucht, muss man zuerst durch einen Metalldetektor, um überhaupt hineingelassen zu werden.

Die ersten Tage über sind wir noch ziemlich zerknirscht darüber, dass wir nun zum Nichtstun verbannt, neben krebsrotgebrannten Engländern und Russen am Strand die Weihnachtszeit verbringen müssen. Doch schon kurze Zeit später haben wir uns gut eingelebt. Da gibt es unsere lieben, indischen Nachbarn, mit denen wir gerne abends draußen am ausgetrockneten Pool noch ein Schwätzchen halten, den Besitzer einer kleinen Garagenbar, der uns schon ungefragt das hauseigene „Vier Gewinnt“, einen Gin Tonic und ein kleines King Fisher auf den Tisch stellt (ja, wir waren da das ein oder andere Mal), und natürlich Lovely: Der Angestellte einer Strandhütte, an der wir fast jeden Tag zwei Liegen in Beschlag nehmen. Lovely ist arbeitet schon seit einigen Jahren hier am Strand. Wir sitzen oft zusammen, er erklärt uns, wie Land und Leute ticken und macht sich meistens ziemlich über seine Landsleute lustig. Wir freunden uns an. Zusammen mit ihm und zwei älteren englischen Pärchen feiern wir in der Strandhütte Silvester.

Bevor wir uns auf den Rückweg nach Mumbai machen, haben wir aber noch eine wichtige Aufgabe zu erledigen: Michi´s zehnjährige Großcousine wünscht sich einen echten Sari. Lila soll er sein. Kein Problem, denken wir und machen uns auf die Suche. Wir finden schöne Saris in allen erdenklichen Farben. Nur nicht in lila! Irgendwann landen wir in einem unscheinbaren Geschäft in Candolim. Der Besitzer ist stolz auf seine wirklich wunderbaren Stoffe. Er liefert die Kleidungsstücke in die ganze Welt und verspricht, für uns etwas Schönes in lila ausfindig zu machen. Als wir einen Tag später erneut seinen kleinen Laden betreten, sind wir hin und weg von dem Sari, den er für uns angefertigt hat. Eine schicke kleine Bluse mit passendem Schal, bestickt mit goldenen und silbernen Pailletten. Obwohl ich mich von dem Gedanken an einen eigenen Sari bereits verabschiedet habe, beschließe ich, mir demnächst doch noch einen zu besorgen. Ich will aber einen Sari in blau!

Tschüss Goa! Hallo Schrödinger?

Und dann sind sie auf einmal doch ganz schnell vorbei, unsere zwei Wochen als Pauschaltouristen in Goa. Anfang Januar steigen wir erneut in einen Nachtbus (diesmal ein besserer), besichtigen auf dem Rückweg erneut die Abgründe indischer Sanitäranlagen (Micha mittlerweile routiniert die Luft anhaltend und Hosenbeine hochkrempelnd) und kommen schließlich wieder ziemlich übermüdet in Mumbai an. In der Hoffnung, nun endlich bald unseren geliebten Schrödinger wieder in Empfang nehmen zu dürfen.

12 Antworten auf „Oh Du Indische!“

  1. Ich habe Fernweh !!! Ich will auch wieder nach INDIA. Kopf hoch, es kann nur besser werden………… Schickt weiterhin so wunderschöne Berichte.
    Bleibst gsund.

  2. Hallo Ihr 2,
    grüßt Mustafa schön von uns, wir hatten im September auch das Vergnügen! Unser LKW wurde auf der Fahrt von Mumbai nach Genua vollkommen ungeplant in Saudi Arabien abgeladen (das haben wir erfahren, nachdem wir in Genua zur Abholung am Hafen waren)…, Gott sei Dank konnten wir ihn aber ein paar Wochen später als vorgesehen in Genua dann beim zweiten Versuch doch noch abholen! Viel Spaß in Indien

    1. Oh Gott, es geht offensichtlich immer noch schlimmer! Gemein ist ja, dass der Schrödinger nur eine Straße weiter steht und wir nicht hin dürfen. Ist ja interessant, dass du auch in München wohnst und aus Passau bist. Wir sind uns aber noch nie persönlich über den Weg gelaufen, oder? Das sollten wir bei Gelegenheit ändern 😉

  3. Hallo ihr Lieben,

    es freut mich sehr, dass ich Teil eurer Tour sein durfte.;-) UND sogar in eurem Beitrag erwähnt werde. 😉
    Ich bin wieder gut in Deutschland angekommen. Euch weiterhin noch ganz viel Spaß.
    Take care.

    1. Schön, das du gesund und sicher wieder daheim gelandet bist. Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit wieder im geregelten Deutschland zu sein?

      Viele Grüße aus der Ferne!

      1. Hey, ich war zwischenzeitlich wieder weg;-) und zwar in Neuseeland für 5 Monate. Doch jetzt wieder in Deutschland zu sein ist schon komisch.
        Wie lange bleibt ihr noch in der großen weiten Welt?

  4. Hallo liebe Michaela,! Hier ist Frau Lendzian aus Passau.Hätte nicht gedacht dass Du dir so etwas draust.Muss dich bewundern!Jch wünsche dir alles gute auf deiner Reise,und komme wieder gesund nach hause .Viele Grüße Frau Lendzian.

  5. Hallo Ihr Lieben. Danke für das Teilen dieser wertvollen Reiseberichte. Könnt ihr verraten, wie ihr das Verschiffen des Autos von Dubai nach Indien organisiert habt? Was ist dabei zu beachten?

    1. Wir haben das von Deutschland aus über eine Reederei organisiert. Ich weiß allerdings nicht, ob wir das nochmal so machen würden. Andere sind einfach zum Hafen in Dubai gefahren und haben das vor Ort organisiert. Die haben jedoch im Container verschifft und nicht RoRo so wie wir.

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