Auf der Suche nach dem Mount Everest (I)

Dass wir auf unserer Reise in der Everest-Region wandern wollen, stand von Anfang an auf unserer To-Do-Liste. Dass wir bis zum Basecamp des höchsten Berges der Welt laufen jedoch nicht. Ursprünglich wollten wir den westlich vom Everest gelegenen 5.360 Meter hohen Gokyo Ri  besteigen und von dort die traumhafte Aussicht auf den Sagarmatha, wie die Sherpas den Everest nennen, genießen. Doch wie so oft, kommt Alles anders.

Tag 1: Von Kathmandu nach Lukla (2.840m) nach Phakding (2.610) – Gehzeit: 5 Stunden

Um kurz nach sechs Uhr morgens treffen wir ziemlich verschlafen am internationalen Flughafen von Kathmandu ein. Die Luft ist staubig und versmogt. In der großen leeren Eingangshalle schläft seelenruhig ein räudiger Straßenköter. Wir passieren eine Sicherheitsschleuse, die ihren Namen nicht wirklich verdient und befinden uns schon mitten im Check-In Bereich für unsere Fluglinie Tara Air nach Lukla. Gleich nebenan stehen die Schalter für Buddha- und Yeti-Airlines. Ich stelle amüsiert fest, dass ich mir Nepal immer ziemlich genau so vorgestellt habe. In der kleinen Halle geht es recht beengt zu. Ein paar müde Touristen schieben ihre schweren Taschen über den Boden, daneben werden Postpakete und Briefe sortiert und ein paar Männer und Frauen versuchen riesige Lebensmittel-Ladungen zu verzurren.

Check-In Bereich am Flughafen Kathmandu
Check-In Bereich am Flughafen Kathmandu

Nachdem wir unsere Rucksäcke gewogen und eingecheckt haben (meiner wiegt zehn, Michis Rucksack wiegt 15 Kilogramm – eine Tatsache, die ich mir in den nächsten Tagen immer wieder werde anhören müssen), heißt es in der Abflughalle erstmal: warten. Unser Flugzeug steht immer noch in Lukla und kann wegen des Smogs über Kathmandu den Flughafen nicht anfliegen. Ich bin nervös und versuche mich mit Zeitunglesen abzulenken. Mir gegenüber sitzt ein Mann, dessen Stuhl plötzlich ohne Vorwarnung unter ihm auseinander bricht. Die Plastiklehne fällt scheppernd zu Boden. Sehr vertrauenserweckend! Um 9:30 Uhr geht es dann endlich los. Die kleine DO 228 hebt mit uns und elf weiteren Passagieren an Board ab und erreicht nach nicht mal einer halben Stunde den berüchtigten Flughafen von Lukla – Einer der gefährlichsten Flugplätze der Welt.

Unser Flugzeug nach Luka
Unser Flugzeug nach Lukla
Die berüchtigte Landebahn in Lukla
Die berüchtigte Landebahn in Lukla

Die Landebahn ist gerade einmal 527 Meter lang und zu allem Übel auch noch stark geneigt. An einem Ende wartet ein rund 600 Meter tiefer Abhang, das andere Ende ist durch eine Bergwand begrenzt. Nachdem wir mit einem lauten Knall sehr unsanft aufgesetzt haben, rasen wir mit enormer Geschwindigkeit auf ebendiese Bergwand zu, die von einem großen „Welcome to Lukla“ – Schild geschmückt wird. Während ich mir, den Tränen nahe, ausmale, von welchem Buchstaben man wohl später meine sterblichen Überreste kratzen wird, macht die kleine Maschine eine jähe Bewegung nach rechts und kommt zum Stillstand. Geschafft! Wir leben noch! Angetrieben vom einer großen Portion Adrenalin, stürmen wir aus dem Flieger, schnappen unsere Rucksäcke und erkunden erstmal das kleine, süße Örtchen Lukla. Die Straßen sind gesäumt von Geschäften, in denen man die obligatorischen Outdoor-Marken-Fälschungen findet. Sogar einen Pseudo-Starbucks und ein Yak-Donald´s gibt es hier!

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IMG_5956Wir entscheiden uns jedoch für ein ganz normales Frühstück und machen uns danach auf den Weg zu unserem ersten Etappenziel Phakding. Es geht erstmal fast ausschließlich bergab und wir sind uns einig, dass dieses Wegstück bei unserer Rückkehr wohl eines der härtesten werden wird. Unterwegs begegnen uns die ersten vollbeladenen Träger, die sich schwitzend in die entgegengesetzte Richtung nach oben arbeiten. Und auch die ersten Yaks kreuzen unseren Weg. Im Gesamten Everest-Gebiet gibt es keine Fahrzeuge. Alles, von der Gasflasche über Essen und Getränke bis hin zum Baumaterial, muss von Mensch und Tier in die entlegenen Regionen getragen werden.

Sherpas bei der Arbeit
Sherpas bei der Arbeit

Kurz vor Phakding verdüstert sich der Himmel. Es fängt an zu blitzen und zu donnern. Wir schlüpfen in unsere Regenkleidung, müssen aber wegen des einsetzenden Hagels dann doch unter einem kleinen Vordach Schutz suchen. Gegen 15 Uhr quartieren wir uns in einem der vielen Guesthouses in Phakding ein. Die Unterkunft kostet zwar nur drei Euro pro Nacht, jedoch muss man schon ab hier für jede Dusche weitere fünf Euro sowie drei Euro für das Laden von Handy oder Fotoapparat bezahlen. Abends sitzen wir zusammen mit den anderen Gästen im Restaurant und hoffen, dass endlich der Ofen angezündet und die Eingangstür geschlossen wird, damit es nicht mehr so sehr zieht. Als Highlight des Abends wird der Film „Into thin Air“ gezeigt, bei dem die Hälfte der Crew einer Everest-Besteigung ums Leben kommt. Sehr motivierend!

Tag 2: Von Phakding (2.610m) nach Namche Bazaar (3.420m) – Gehzeit: 7 Stunden

Um acht Uhr morgens machen wir uns ziemlich durchgefroren wieder auf den Weg. In den Betten unserer Unterkunft gab es keine Decken und langsam aber sicher ist die nächtliche Kälte in unsere Schlafsäcke gekrochen. Die ersten Kilometer wandern wir gemächlich entlang des Flusses Dudh Khosi. Die Sonne scheint und mit jedem Meter wird uns wärmer. An einem Check-Point müssen wir noch unsere Wandererlaubnis besorgen und den Eintritt für den Nationalpark bezahlen. Ein Schild im Checkpoint informiert über die Besucherzahlen der vergangenen Jahre und Monate. Nach dem verheerenden Erdbeben 2015 sind die Zahlen in einigen Monaten um mehr als zwei Drittel zurückgegangen. Interessanterweise ist von den Schäden bisher nichts zu sehen gewesen. Ob das noch kommt? Immer wieder überqueren wir ziemlich wacklige und quietschende Hängebrücken. Am schlimmsten ist es, wenn einem noch andere Touristen oder gar Yak-Karawanen auf einer der Brücken entgegen kommen. Dann schaukeln sich die Schritte gegenseitig auf und man ist gut damit beraten, nicht in die Tiefe zu blicken.

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IMG_5456Nachdem man mehrere Stunden entlang des Dudh Kosi gewandert ist und ihn immer wieder überquert hat, teilt der Fluss sich auf. An dieser Stelle gibt die Landschaft auch den Blick auf das frei, was dem Wanderer heute noch bevorsteht: Der steile Aufstieg nach Namche Bazaar – markiert durch zwei surreal über dem Dudh Kosi schwebende Hängebrücken. Die Sonne scheint erbarmungslos auf den Weg und so wird der Anstieg zu einer schweißtreibenden Angelegenheit. Angekommen an der Brücke, zögern wir ein wenig. Da sollen wir jetzt wirklich rüber? Die Brücke hängt gefühlt 300 Meter über einem Abgrund!

Hängebrücke über dem Dudh Kosi Fluss
Hängebrücke über dem Dudh Kosi Fluss

Wir nehmen all unseren Mut zusammen und laufen los. In der Mitte der Brücke weht ein stürmischer Wind, der einen mitzureißen droht. Bloß schnell auf die andere Seite! Dort wartet schon die Fortsetzung des 600 Meter hohen Anstiegs nach Namche Bazaar, begleitet von dem zahlreichen Geächze und Gestöhne der Mitwanderer. Abgerundet wird die Kakophonie durch das regelmäßige Rotzen und Spucken der nepalesischen Träger. Der gesamte Weg von Lukla bis ins Basecamp ist nicht nur gepflastert von Yak-Mist, sondern auch von den unvermeidlichen Spuckeflecken. Super eklig! Um 15 Uhr erreichen wir Namche Bazaar und gönnen uns für 30 Dollar die Nacht eines der besseren Hotels mit warmer Dusche und Heizdecken. Diese haben wir uns nach der letzten kalten Nacht aber auch wirklich verdient!

Namche Bazaar
Namche Bazaar
Tag 3: Akklimatisierungstag in Namche Bazaar (3.420m)

Eine der größten Gefahren im Everest-Gebiet ist es, höhenkrank zu werden. Um dies zu vermeiden, wird empfohlen, alle rund eintausend Höhenmeter einen Ruhetag zur Akklimatisierung einzulegen. Da wir in der glücklichen Lage sind, uns so viel Zeit nehmen zu können, wie wir möchten, halten wir uns an diese Regel und machen uns einen gemütlichen Tag. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit dem ersten Yak-Käse unseres Lebens, besichtigen wir das Mount Everest Dokumentationszentrum – ein kleines Museum, das seinen Besuchern die Geschichte und das Leben der Bergbevölkerung näher bringen soll und in dem es zahlreiche Fotos und Zeitungsartikel zu den diversen Everest-Besteigungen zu sehen gibt.

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Everest Dokumentationszentrum

Den frühen Nachmittag vertrödeln wir bei Kaffee und Kuchen in einer deutschen Bäckerei auf dem Dach unseres Hotels. Später schauen wir uns mit einigen anderen Touristen bei Popcorn und Tee in einer Kneipe noch den Film „Conquest of Everest“ an, in dem die Orginalaufnahmen von der Erstbesteigung durch Sir Edmund Hillary gezeigt werden. Am Vorabend haben wir im Irish Pub bei einer Runde Tischkicker noch mit zwei Engländern gesprochen, die gerade auf ihrem Rückweg vom Basecamp waren. Ihre begeisterten Erzählungen, zusammen mit der Tatsache, dass uns das Wandern hier bisher so viel Freude bereitet, bringen uns dazu, unsere Pläne umzuschmeißen. Eigentlich hätten wir morgen unseren Weg in eines der Täler westlich vom Everest Basecamp Trek fortsetzen sollen, um zum Gokyo Ri zu gelangen. Doch unsere Karte zeigt uns einen weiteren Everest-Aussichtspunkt gleich in der Nähe des Basecamps: Das kleine Dorf Dzongla auf 4.830m Höhe. Wir beschließen, dorthin zu gehen und falls wir noch fit genug sind, auch noch das letzte Stück zum Basecamp in Angriff zu nehmen. Klingt eigentlich nach dem perfekten Plan für uns. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Auf unserer Karte hat sich ein kleiner aber entscheidender Fehler eingeschlichen. Den werden wir jedoch erst in den nächsten Tagen, wenn es bereits zu spät ist, bemerken.

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