Wer nach China fährt, muss zwei Dinge natürlich unbedingt gesehen haben: Die Terrakotta Armee und natürlich die Chinesische Mauer. Zum Glück liegt beides auf unserem Weg zur mongolischen Grenze.
In der Stadt Xi´An parken wir den Schrödinger nahe der historischen Stadtmauer und beziehen ein Doppelzimmer in einem gemütlichen Hostel mit wunderschöner Dachterrasse. Mit im Hostel wohnt ein süßer, schneeweißer Hundewelpe, der von allen Gästen heiß und innig geliebt wird. Als wir ihn kurze Zeit nach unserer Ankunft dabei beobachten, wie er aus den Gemeinschaftstoiletten benutzte Damenbinden klaut und diese genüsslich verspeist, sind wir uns einig, dass er unsere Liebe nicht auch noch braucht und halten uns das nun doch nicht mehr so süße Tierchen tunlichst vom Leib. Die Essgewohnheiten in China sind in der Tat nicht nur seitens des Hostel-Hündchens ziemlich delikat. Im Supermarkt findet man große lebendige Frösche und Schildkröten in der Fleischtheke und auch Insekten, Seepferdchen und andere für uns Europäer wenige lecker erscheinende Dinge, wie Eidechsen oder Schlangen, landen auf dem Tisch.
Aber es gibt auch sehr sehr viele, wirklich sehr leckere Sachen in China. Für mich persönlich ist das Land bisher unser absolutes kulinarisches Highlight. Wider Erwarten kommt Reis nur äußerst selten auf den Tisch. Bereits zum Frühstück essen die Chinesen richtig deftig: Nudelsuppe, gefüllte Teigtaschen oder eine Art Dampfnudel, gefüllt mit süßer Bohnenpaste ist hier die erste Wahl. Zum Abendessen hat es mir aber insbesondere der sogenannte „Hotpot“ angetan: Eine große Schüssel voll mit kochender, scharfer Suppe, in der man, ähnlich wie bei einem Fondue, Gemüse, Wachteleier und Fleisch an kleinen Spießchen gart. Direkt vor unserem Hostel befindet sich ein solches Hotpot-Straßenlokal und wir verbringen an einem lauen Sommerabend Stunden auf den kleinen Plastikstühlen am Straßenrand und genießen zusammen mit Guide Lisa schwitzend unseren chinesischen Fondue-Topf.
Mit uns im Straßenlokal sitzen auch drei junge Männer aus Portugal und England. Die beiden Portugiesen leben bereits seit über einem Jahr in China und arbeiten dort, als Englischlehrer. Selbiges hat auch der Engländer vor, der erst vor zwei Tagen im Land angekommen ist und gerade von den beiden Kollegen erfahren musste, dass sein Name „Ben“ auf Chinesisch „dumm“ bedeutet. Na, wenn das nicht die perfekte Voraussetzung ist, um sich gleich vom ersten Tag an richtig Respekt bei den zukünftigen Schülern zu verschaffen? Der arme Ben tut uns jetzt schon leid, da sich sogar Lisa ein Kichern nicht verkneifen kann, als sie seinen Namen hört.
Die Drei laden uns ein, den morgigen Tag mit ihnen zu verbringen, doch leider müssen wir schon wieder weiter. Wirklich schade – wären wir nicht an die geführte Tour gebunden, würden wir sicher noch mehrere Tage in Xi´an verbringen und uns von den drei lustigen Lehrern in die Eigenheiten des chinesischen Alltags einführen lassen. Es hätte uns auf jeden Fall mehr Spaß gemacht, als nach unserem strengen Zeitplan zu fahren und im Eiltempo die wichtigsten (völlig überlaufenen) Sehenswürdigkeiten Chinas abzuklappern. Außerdem müssen wir zugeben: Reisen in der Gruppe ist überhaupt nicht unser Ding. Früh aufstehen? Mögen wir nicht. Ständig auf Andere warten – für die überpünktliche Beamtentochter und den Ex-Offizier ein Graus. Nicht tun und lassen können, was wir wollen – sind wir einfach nicht mehr gewöhnt. Zum Glück dauert es aber nicht mehr allzu lange, bis wir wieder in Freiheit sein werden.
Ganz oben auf unserem China-Programm stand natürlich von Anfang an die berühmte Terracotta Armee, die sich gerade einmal 30 Kilometer von Xi´an entfernt befindet. Die Terrakotta Armee zählt zu den Weltwundern der Moderne und wurde erst Mitte der 70er Jahre von einem Bauern entdeckt, der gerade einen Brunnen graben wollte. Natürlich ist der arme Kerl durch seine Entdeckung nicht reich geworden. Er wurde einfach kurzerhand enteignet und so verdient nun die chinesische Regierung gut an den nicht zu verachtenden Eintrittspreisen. Zum Glück sind wir noch einigermaßen früh dran und die Schlangen am Schalter halten sich noch halbwegs in Grenzen. Damit wir auch wirklich bestens über die Terrakotta Armee informiert werden, bekommen wir von unserem Reiseanbieter NAVO eine eigene Fremdenführerin spendiert. Sie spricht zwar ganz passables Englisch, dafür aber kommt während der gesamten Tour nicht ein einziges kleines Lächeln über ihre bärtigen Lippen.
Die Terrakotta Armee zählt mit Sicherheit zu den beeindruckendsten Dingen, die wir auf unserer Reise bisher gesehen haben. Sie wurde vor über 2.000 Jahren vom Herrscher Qin Shi Huang als Schutz für sein Grabmal gebaut und ist noch immer nicht vollständig ausgegraben. Heute kann man die Armee in drei verschiedenen Ausgrabungshallen begutachten. Allein in der ersten und größten Halle befinden sich über 8.000 Krieger, Pferde und Wagen. Noch immer sind Archäologen-Teams aus aller Welt damit beschäftigt, die Figuren unter der eingestürzten Holzdecke vorsichtig hervorzuholen und Stück für Stück, Scherbe für Scherbe wieder zusammenzusetzen. Das größte Puzzle der Welt! Ursprünglich war die Armee sogar bunt bemalt. Doch sobald die Krieger der frischen Luft ausgesetzt sind, blättert die Jahrtausende alte Farbe sofort von ihren Röcken ab.
Noch am selben Tag geht es für uns weiter in Richtung Peking, dessen Außengrenzen wir am Abend des darauffolgenden Tages erreichen. Da der Verkehr in Peking zu dicht ist, stellen wir die Autos auf einem bewachten Parkplatz ab und fahren am frühen Morgen des nächsten Tages mit der U-Bahn ins Zentrum. Für die folgenden Tage haben wir uns erneut in ein Hostel eingemietet.
Von allem was wir bisher gesehen haben, kommt Peking unserer Vorstellung von China mit Abstand am nächsten. Unser Hostel liegt in einem der vielen geschützten Altstadt-Bereiche der Stadt, deren enge Gassen noch echtes China-Flair versprühen. Sie sind so verwinkelt, dass selbst Lisa sich mit uns darin ein wenig verirrt.
Als erstes nehmen wir uns den Tian´anmen Square vor. Als ich Lisa nach der blutigen Niederschlagung der Proteste von 1989 frage, schaut diese mich nur durchdringend an. Ups! Vergessen! Großes Fettnäppfchen. Darüber spricht man in China ja nicht.
Nur sehr selten können wir unserer Reiseführerin ein paar Worte zu politischen kontroversen Themen entlocken. Obwohl die Chinesen ein auf den ersten Blick sehr westliches Leben führen, stellen wir gerade in solchen Situationen immer wieder erstaunt fest, dass dieses Land eben nicht so frei ist, wie es sich auf den ersten Blick anfühlt. Es gibt Dinge, über die nicht gesprochen werden darf, Meinungen, die man nicht haben sollte und auch das Internet funktioniert nur eingeschränkt. Google, Facebook und alle anderen sozialen Medien sind gesperrt.
Wir verkneifen uns also jede weitere Nachfrage, schießen die üblichen Touristenfotos und widmen uns dem nächsten Highlight: Der verbotenen Stadt. Sie diente den chinesischen Herrschern einst als Palast, den sie so gut wie nie verließen. Innerhalb der Palastmauern lebten sie ein Leben in Reichtum und Luxus, während die Menschen außerhalb oft hungerten. Von einer Herrscherin wird sogar berichtet, dass sie sich zu jeder Mahlzeit mindestens 108 Gerichte auftischen ließ. Wir schnappen uns ein paar Kopfhörer und schlendern ein paar Stunden durch die Palastmauern. Das Gelände ist so groß, dass man wahrscheinlich Tage hier verbringen könnte.
Den Tag lassen wir zusammen mit Lisa in einem Hotpot-Restaurant ausklingen. Sie mag das Zeug zum Glück so gerne wie ich und so sitzen wir einmal mehr um einen dampfenden Kessel mit scharfer Suppe und lassen uns hauchdünnes Hammelfleisch, Spinat, Wachteleier und Brokkoli schmecken, die wir nach dem Garen in eine dicke Erdnuss-Sauce tunken. Hach, ich vermisse dieses Essen jetzt schon! Hoffentlich kriege ich es hin, das Zuhause einmal nach zu kochen.
Den nächsten Tag verbringen wir endlich einmal wieder alleine und schlendern durch die Fußgängerzone. Dort steigen wir in einen kleinen elektrischen Touristenzug, gespannt, was uns erwartet. Die Reiseleitung spricht leider nur chinesisch. Ein Drittel der Fahrt geht durch die Fußgängerzone, ein weiteres durch irgendwelche Straßen außerhalb, in der sich scheinbar interessante Sachen befinden müssen, die wir nicht verstehen und das letzte Drittel stehen wir im Stau. Egal, zum Glück hatten wir einen großen Becher Eiskaffee dabei. Abends setzt Michi, der keine Nudeln und keinen Hotpot mehr sehen kann sich durch und wir landen bei McDonalds, wo Lisa und ich von einem großen dampfenden Suppenkessel träumen.
Obwohl es in Peking sicherlich noch sehr viel mehr zu entdecken gäbe, müssen wir am nächsten Tag auch schon wieder weiter. Lisa bringt uns zu einem weniger bekannten Abschnitt der chinesischen Mauer. Er liegt idyllisch an einem kleinen See und ist kaum besucht. Obwohl es schon abends ist, wandern wir noch ein paar Stunden auf der Mauer entlang und um den See zurück und genießen die warme Abendsonne.
Zurück am Auto klettert Lisa mit verschwörerischer Mine in den Schrödinger und drückt uns ein kleines Paket in die Hand. Geschenke für uns, weil sie uns so gern hat. Im Paket finden wir je zwei T-Shirts mit chinesischen Schriftzeichen (habe ich stundenlang gesucht und nicht gefunden) sowie zwei kitschige chinesische Figürchen (die Michi ganz toll fand und sich nie getraut hat, zu kaufen). Wir sind total gerührt. Obwohl wir schon seit längerem gemerkt haben, wie gerne sie Zeit mit uns verbringt, war uns bisher nicht klar, wie sehr sie uns ins Herz geschlossen hat. Unsere liebe Lisa, wir werden sie sehr vermissen, wenn wir China verlassen. Leider gibt es für sie auch kaum eine Chance, uns jemals zu besuchen. Abgesehen davon, dass Chinesen nur fünf bezahlte Urlaubstage pro Jahr haben, hat Lisa einen tibetischen Pass und darf deswegen nicht ausreisen. Da ist sie wieder, die große Unfreiheit im so westlich und frei wirkenden Reich der Mitte.
Der Abend hat noch eine weitere Überraschung für uns parat: Zwei junge Männer steuern auf uns zu und dank Lisa können wir uns mit ihnen unterhalten. Lange stehen wir zusammen und machen eine kleine Führung durch den Schrödinger. Als Dankeschön schenkt uns einer der Männer eine nagelneue Campinggaslampe und der andere, ein Designstudent, malt uns das chinesische Wort für „Diesel“ über den Tank.
Tags drauf steht noch der Besuch eines weiteren, diesmal weltbekannten, Mauerabschnitts auf unserem Programm. Doch als Michi und ich die Massen sehen, die sich über die Steine nach oben schieben, vergeht uns die Lust. Wir gehen erstmal ausführlich essen. Auf der Weiterfahrt erwischen wir auf der Autobahn dummerweise die falsche Spur uns drehen wieder ab Richtung Peking. 30 Kilometer lang können wir nicht umdrehen und geraten auch noch stundenlang in einen riesigen Stau. Ganz China scheint heute unterwegs zur Mauer zu sein! Das gibt es doch nicht? Wo kommen bloß die ganzen Leute her, wenn sie doch nur fünf Tage im Jahr Urlaub haben? Im Dunklen schaffen wir es schließlich doch noch irgendwann auf unseren Rastplatz, wo uns Lisa schon mit einer kleinen Bitte erwartet: Sie würde die letzten beiden Tage gerne bei uns im Auto verbringen, egal wie unbequem dies sei. Der Schrödinger hat nämlich nur zwei Sitze und jeder weitere Passagier muss sich aus Sicherheitsgründen auf den Boden setzen oder legen, um bei einer Vollbremsung nicht einmal quer durch den Wohnkoffer zu segeln.
Mit Lisa im Gepäck geht es also am nächsten Morgen weiter Richtung mongolische Grenze. Obwohl wir uns schon sehr darauf freuen, endlich wieder frei reisen zu können, ist die Stimmung trotzdem etwas gedrückt. Lisa wird uns sehr fehlen und so schmieden wir gemeinsam nicht ganz ernst gemeinte Pläne, wie wir unsere Reiseführerin am besten über die Grenze schmuggeln könnten.
In der Grenzstadt Erenhot möchte Lisa ein letztes Mal zusammen mit der ganzen Gruppe essen gehen. Die Anderen möchten nicht mitkommen und so sitzen wir auch diesmal wieder allein mit ihr im Restaurant. Natürlich gibt es Hotpot und wir bestellen Zutaten, bis sich der Tisch förmlich biegt. Als Michi heimlich zahlen möchte, da wir unsere neue Freundin gerne zu diesem Essen einladen möchten, stellt er zur großen Überraschung fest, dass Lisa bereits das ganze Essen bezahlt hat. Ein weiteres Abschiedsgeschenk.
Als wir uns am nächsten Morgen an der Grenze von ihr verabschieden, hat sie Tränen in den Augen. Auch uns fällt es schwer, uns von ihr zu trennen. 21 Tage haben wir mit ihr verbracht. 21 Tage, in denen sie uns ihr Land, ihre Kultur und vor allem ihr Essen näher gebracht hat und die wir sehr genossen haben. Auch wenn wir nicht so frei reisen konnten, wie wir wollten, so war der Ausflug in die zivilisierte Welt, in der es Teerstraßen, Bürgersteige, Verkehrsregeln und so viele andere Kleinigkeiten gibt, die das Leben leichter machen. Vom bevölkerungsreichsten Land der Erde geht es für uns nun mit der Mongolei in ein Land, in dem es mehr Pferde als Menschen und angeblich keine richtigen Straßen mehr gibt. Das kann doch gar nicht sein! Oder doch?
Toll Eure Berichte !
LG. Christa und Dusty