72 Stunden Iran

Am ersten November, dem Tag der Parlamentswahlen in der Türkei, fahren wir mit dem Schrödinger aufgeregt Richtung iranische Grenze. Was wird uns in diesem Land wohl erwarten? Von begeisterten Reiseberichten bis hin zu den schlimmsten Schauermärchen haben wir vor Reisebeginn so ziemlich alles gehört. Doch zuerst müssen wir es über die Grenze schaffen.

Die Grenzabwicklung dauert über zwei Stunden

Schon im türkischen Teil des Grenzgebiets sind wir etwas genervt: Geldwechsler bedrängen uns und sich in Reih und Glied vor der Grenzdurchfahrt anzustellen, ist nicht wirklich eine Stärke der Türken. Bis ich den Schrödinger vorgeglüht habe, drängen sich von links und rechts schon wieder die Fahrzeuge vor uns. Michi schimpft also mit den aggressiven Geldwechslern, ich mit den anderen Fahrern und plötzlich geht hinter uns der Grenzzaun zu und wir sind drin: Im Iran! Khomeini und Khamenei schauen uns prüfend von einem großen Plakat herab an. Etwas ängstlich rücke ich mein Kopftuch zurecht und versuche verzweifelt einige widerspenstige blonde Haarsträhnen darunter zu verstecken. Hoffentlich sitzt der Schal richtig! Ein Soldat durchsucht den Schrödinger nach Schweinefleisch und Alkohol. Letzteren haben wir jedoch am Vorabend vorbildlichst noch „entsorgt“. Wir irren durch Gänge, bekommen Stempel in unsere Pässe gedrückt, lassen unser Carnet de Passage ausfüllen. Danach brauchen wir noch einen extra Stempel für die Tatsache, dass unser Auto Diesel tankt. Ein Zollbeamter will mir meinen schönen Schlüsselanhänger, ein Geschenk meiner Freundin, abschwatzen. Ich solle den Anhänger seinem Baby schenken. Nichts da, den gebe ich auf keinen Fall her! Er lässt nicht locker und ich schlage ihm einfach die Autotür vor der Nase zu. Die Iraner scheinen ein seltsames Volk zu sein, denke ich noch, während wir mit dem Schrödinger durch eine Desinfektionsanlage fahren. Wir schließen noch eine iranische Autoversicherung ab und verlassen das Grenzgebiet.

Welcome to Iran!

Im ersten Moment bin ich ein wenig enttäuscht. Irgendwo tief in mir drin hatte ich mir den Iran anders vorgestellt. Wüste, Dünen, Kamele und vielleicht ein fliegender Teppich. Doch zunächst empfängt uns nur dichter, chaotischer Verkehr. Nach wenigen Kilometern reiben wir uns verwundert die Augen: Es ist, als hätten alle Iraner nur darauf gewartet, dass wir kommen. Menschen winken uns vom Straßenrand aus zu und rufen lachend „Welcome to Iran!“, Autos und LKWs hupen uns an und wir ernten viele neugierige, aber freundliche Blicke. Die Nacht wollen wir in der Stadt Marand verbringen. Kaum haben wir einen Parkplatz neben dem Stadtpark gefunden, begrüßt uns auch schon Akbar. Er ist Touristenführer und bietet Unterkünfte für Fahrradfahrer an. Stolz zeigt er uns ein Fotoalbum mit Fahrradtouristen aus der ganzen Welt. Morgen wollen wir uns mit ihm zum Frühstück treffen. Doch zuerst wollen wir Marand auf eigene Faust erkunden und ziehen auf der Suche nach etwas Essbarem los. Leider ist es sehr schwierig ein traditionelles Restaurant zu finden. Die Iraner scheinen total verrückt nach Fast Food zu sein. Überall gibt es nur Pizza und Burger. Nachdem der durchschnittliche Iraner nicht allzu oft nach Italien oder Amerika kommen dürfte, schmeckt beides auch eher bescheiden und überhaupt nicht so, wie es eigentlich sollte. Während wir unser Essen verdrücken, werden wir von ein paar Teenagern am Nebentisch kichernd beobachtet. Die Mädchen kommen zu uns und bitten um ein Foto. Meine blonden Haare haben es ihnen offensichtlich angetan. Ich habe nichts dagegen und schon packen mich die beiden, nehmen mich in den Arm und halten meine Hände als wären wir die dicksten Freundinnen. Ich bin so überrascht, dass ich vergesse für das Foto zu posieren. Kichernd zieht die Truppe wieder ab und lässt uns ein wenig ratlos zurück.

Mit dem Fahrrad um die ganze Welt

Am nächsten morgen bringt uns Akbar frisches Brot vorbei und auch ein Anwohner kommt und schenkt uns Äpfel. Einfach so. Wir fahren zu Akbars Supermarkt und kaufen ein paar Kleinigkeiten ein. Dort stellt er uns Jin und Philipp vor. Jin kommt aus Südkorea und ist seit vier Jahren mit dem Fahrrad auf der ganzen Welt unterwegs (ihren Blog findet ihr übrigens hier). Seit einem Monat wird sie dabei von Philipp aus Montenegro begleitet. Wir verstehen uns sofort super mit den beiden, tauschen Telefonnummern und verabreden uns für den nächsten Tag in Tabriz, unserem ersten großen Etappenziel im Iran. Als wir uns auf den Weg machen wollen, kommen noch ein paar Männer vorbei und schenken uns einen riesigen Fladen Brot. Alle sind so freundlich zu uns. Wir können es kaum fassen.

Auf Empfehlung von Akhbar fahren wir in Tabriz auf einen Park-/Campingplatz gegenüber der Universität. Kaum angekommen, kommt uns Tourismus-Dozent Michael entgegen. Er spricht perfekt Englisch, lädt uns auf einen Chai ein und spendiert uns ein Taxi in die Stadt. Dort steuern wir zuerst die Schmuckabteilung im Bazaar an. Am Grenzübergang ist mir der Stein aus meinem Ehering gefallen und ich hoffe, dass mir dort jemand einen neuen einsetzen kann. Schon der zweite Ladenbesitzer, den wir fragen, kann helfen und nach zehn Minuten Spielerei, ziert ein neuer Stein meinen Ring. Die Reparatur inklusive Steinchen lässt sich der Verkäufer auch nach längerer Diskussion nicht bezahlen und schickt uns mit einem freundlichen „Hope you enjoy your trip to Iran!“ wieder ins Getümmel.

Privatführung durch das kalte Tabriz

Am nächsten Tag treffen wir uns mit Jin, Philipp und ihren Gastgebern Fateme und Mesud. Die beiden sind gerade mal 21 Jahre alt, aber schon seit einem Jahr miteinander verheiratet. Das ist selbst für den Iran sehr jung. Sie erzählen uns, dass ihnen nichts anderes übrig geblieben sei, da sie zuvor mehrfach verhaftet und eingesperrt wurden, nur weil sie sich ineinander verliebt hatten. Die einzige Möglichkeit, um auf legale Art und Weise zusammen sein zu können, war die Hochzeit. Für uns natürlich absolut unvorstellbar. Doch im Iran sind die Kontakte zwischen Mann und Frau streng geregelt. Das bekomme auch ich häufig zu spüren. Die meisten Männer geben mir nicht die Hand, viele (nicht alle!) unterhalten sich nur mit Michi.

Fateme und Mesud führen uns durch den großen Bazaar von Tabriz und ermöglichen uns sogar den Blick in eine Karawanserei, in der Seidenteppiche hergestellt und verkauft werden. Stolz präsentieren uns die Verkäufer ihre sündhaft teuren, aber wunderschönen Orientteppiche und freuen sich über den ungewöhnlichen Besuch. Nach dem Bazaar plaudern wir in einem gemütlichen Café. Wir haben richtig viel Spaß mit den Vieren und verbringen einen sehr interessanten Nachmittag, an dem wir uns viel über unsere kulturellen Unterschiede unterhalten und lachen. Unter anderem bietet Mesud an, mir zu zeigen, wie man die iranischen Stehklos mit Wasserschlauch benutz – Ich lehne dankend ab. Später essen wir noch, natürlich in einem Fastfood-Restaurant, zu Abend. Da wir uns so gut verstehen, laden wir Fateme, Jin, Mesud und Philipp noch zu uns in den Schrödinger ein, wo wir dicht zusammengequetscht den Abend ausklingen lassen.

Wir sind gerade einmal 72 Stunden im Iran und haben schon so viel erlebt. Totmüde fallen wir in unser Bett. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen: In nicht mal 48 Stunden kommt, was kommen musste – Wir werden entführt! Doch das ist wieder eine eigene Geschichte.

 

6 Antworten auf „72 Stunden Iran“

  1. Hallo Ihr beiden Weltreisenden. Ich habe ein bisschen auf Eurer Webseite geblättert. Die ist sehr schön gemacht, sehr übersichtlich. Ich habe meine Freude daran. Ich werde mir einen Link setzen und hin und wieder hineinschauen.
    Zum Iran: Ich war 1967 für 3 Monate im Iran, bin dort kreuz und quer meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln herumgereist. Ich kann bestätigen, dass man überall herzlich und neugierig empfangen wird. Gastfreundschaft und Hilfe wurde einem überall zuteil. Das Land ist wunderschön. Sehr beeindruckend die Orte Persepolis, Isfahan, Shiraz und Mashhad. Auch die Fahrt entlang dem Kaspischen Meer mit Besuch einer Sommerresidenz das ehem. Schah war sehr erlebnisreich. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Mit freundlichen Grüssen Atid

  2. Hi there!
    BIG news first! We are going to travel inside Iran (in the first step of course) for a year with a little van (in comparison with yours!)
    We let you know that you were a inspiration for this action.
    We will need a little tips for our travelling, something like that tricky action of laundry, so it would be great if you share an email or a connection bridge with us.
    We read this article all and we will keep reading your next posts.
    Enjoy each other and keep kissing the world (and each other :-D)
    Fateme&Masood

    1. Hey you!
      WOW, great news! Have you already bought the van and when will you start your tour? You really will enjoy it, i promise. Hope you will share your experiences with us.
      We are thinking about visiting Iran again on our way home next year, because we had so much fun there and met so many amazing people.
      Of course you can always contact us and ask questions. But don´t wonder if you sometimes will have to wait a bit for the answers. Depends on our current internet connection. You can reach us via E-Mail (michaela.hase(at)hotmail.de) or via our Facebook page.
      Many,many greetings to Tabriz from Sri Lanka!

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