Entführung auf Iranisch

Acht Uhr Abends, irgendwo im Zentraliran. Wir sitzen in einem stickigen Raum ohne Fenster. Gut fünfzehn dunkle Augenpaare sind auf uns gerichtet. „Wo kommt ihr her?“, „Was macht ihr beruflich?“, „Wo wollt ihr noch hin?“, „Was denkt ihr über den Iran und die Menschen hier?“. Tausend Fragen prasseln gleichzeitig auf uns ein. Mir ist vor Aufregung ganz schwindelig. Ständig überprüfe ich, ob das Kopftuch auch noch dort ist, wo es sein soll. „Wie haben wir das nur wieder geschafft, uns in so eine Situation zu bringen?“, denke ich und schiele etwas anklagend auf den Ehemann neben mir.

Rückblende – Einen Tag zuvor wollen wir gerade gut gelaunt Tabriz verlassen, als unser Navi uns einen bösen Streich spielt. Mitten im dichten Großstadtverkehr führt die Straße plötzlich unter einer, für uns viel zu niedrigen Brücke hindurch. Hinter uns beginnt natürlich sofort ein mächtiges Hup- und Schimpfkonzert. Was jetzt? Es geht weder vor, noch zurück! Ein paar Taxifahrer kommen angelaufen und deuten uns, ein Stückchen weiter vorne unter der Brücke hindurch zu fahren. Doch  ein Schild weist auf eine maximale Höhe von drei Metern hin. Der Schrödinger ist aber 3,50 Meter hoch. „No Problem!“ schallt es uns im Chor entgegen und da uns nichts anderes übrig bleibt, versuchen wir unser Glück. Wie es der Zufall will, scheint sich bei der Brücke wohl jemand vermessen zu haben: der Schrödinger passt auf den Millimeter genau hindurch!

Jetzt aber nichts wie los in die Wüstenstadt Kashan. Auf dem Weg verbringen wir die Nacht Bu`in Zara, wo wir sofort von Mohammed angesprochen werden. Er ist Architekt und hilft uns bei der Suche nach Lebensmitteln, Brot und einem Schlafplatz. Angrenzend an diesen finden wir tags darauf einen kleinen „Shop“ in dem wir auf abenteuerliche Weise unsere Gasflaschen wieder auffüllen lassen. Spätestens als sich einer der Männer während des Befüllens an einer anderen brennenden Gasflasche schnell noch eine Zigarrette anzündet, beschließe ich, mir das Spektakel doch lieber aus der Ferne anzusehen. Zwischenzeitlich taucht Mohammed wieder auf und bringt uns zu einem Imbiss, wo uns der Besitzer gegen ein Foto mit den „Allmanies“ (Deutsche) zum Frühstück einlädt.

Die Straßen sind gut und wir kommen schnell voran. Auf halber Strecke gönnen wir uns an einer Raststätte einen kleinen Imbiss. Als besonderen Service für die beiden „Arier“ stellen uns die Kellner eine kleine Deutschlandflagge auf den Tisch. Daran muss man sich als Deutscher mit Geschichtsbewusstsein erstmal gewöhnen. Immer wieder betonen die Iraner stolz, dass sie genau wie wir arische Wurzeln hätten. Anfangs sind wir davon etwas irritiert, doch im Laufe der Zeit merken wir, dass der Begriff „Arier“ im Iran keine rassistische Bedeutung hat und die Menschen uns eigentlich nur ein Kompliment machen möchten. Allerdings konnten wir auch nach eingehender Internetrecherche bisher noch nicht herausfinden, wie hoch der Wahrheitsgehalt dieser Theorie tatsächlich ist.

Am späten Nachmittag erreichen wir schließlich Kashan und stellen den Schrödinger wie so oft neben einem der vielen Parks ab, die es im Iran in jeder Stadt gibt. Mit einem klapprigen Taxi, in dem eine seltsam psychedelische, muezzin-ähnliche Musik läuft, düsen wir zum Fin-Garden – einer grünen, persischen Oase mit Quelle inmitten karger Landschaft. Fasziniert schlendere ich zwischen den 500 Jahre alten Bäumen entlang der Wasseradern hindurch und lasse mich gelegentlich von ein paar schwarz verhüllten Frauen fotografieren. In den Abendstunden schlendern wir noch durch den Bazaar von Kashan. Es ist bereits dunkel und sehr kalt, daher wollen wir auf dem schnellsten Weg zurück zum Schrödinger. Doch kein Taxi will uns zum Park fahren. Etwas ratlos stehen wir an einem Kreisverkehr uns wissen nicht mehr weiter.

Auf offener Straße entführt

Eine junge Frau bietet uns Hilfe an. Wir sollen einfach warten, gleich kommt ihre Tante, die gut Englisch spricht. Sie könne uns weiterhelfen. Keine fünf Minuten später steht diese auch schon vor uns und schneller als wir verstehen, was mit uns passiert, zieht sie uns auch schon plappernd in ein nahegelegenes Gebäude: Das Language Institute of Kashan. Sie sei Englischlehrerin, erklärt sie uns, und würde uns natürlich sofort helfen, zu unserem Auto zu kommen, wenn wir zuvor noch in eine Englischklasse gehen und dort mit den Schülern sprechen. Vor Schülern stehen? Spontan etwas erzählen? Auf Englisch? Ich? Noch während mich die nackte Panik packt, höre ich neben mir von Michi ein fröhliches „Of course!“.  Ehe ich mich versehe, sitzen wir auch schon in einem Klassenzimmer voller Männer zwischen 20 und 30 und werden mit Fragen nur so gelöchert. Alle sind super freundlich, interessiert und lustig. Schon nach kurzer Zeit plappern wir wie wild und erzählen von unserem Leben auf der Straße, vom Alltang in Deutschland und meinem täglichen Kampf mit dem Kopftuch. Ich kann kaum in Worte fassen, wie viel Spaß wir mit der lustigen Truppe an diesem Abend haben. Ein paar der Jungs fahren uns später noch zurück zum Schrödinger, bleiben noch gut zwei Stunden zum Plaudern und empfehlen uns einen Ausflug in die angeblich nur zehn Kilometer entfernte Wüste mit Salzsee. Das wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen!

Von wegen weicher Wüstensand

Am nächsten Morgen düsen wir also Richtung Wüste. Zehn Kilometer waren leicht untertrieben: Das Navi zeigt stolze 50 Kilometer zum Salzsee an. Seltsamerweise soll die Fahrt auch noch ganze zwei Stunden in Anspruch nehmen. Das kann doch nicht sein! So langsam ist nicht mal der Schrödinger! Die Fahrt durch die Wüste haben wir uns ungefähr so vorgestellt: Der Schrödinger gleitet leise über die weiche, schnurgerade Sandstraße, während wir Dünen, Kamele und Oasen bestaunen. Doch die Realität sieht anders aus: Die Straße wird mit jedem Kilometer schlimmer. Der Wüstenboden ist steinhart und übersät mit tausenden kleinster Rillen, die uns fürchterlich durchschütteln. Nach zweieinhalb Stunden kommen wir völlig fertig an einer Karawanserei an. Dort erwarten uns zumindest die lang ersehnten Kamele, aber auch viele Iraner, die uns natürlich wieder alle begrüßen und zu sich Nachhause einladen wollen. Nach einer Stunde Pause machen wir uns wieder auf den Rückweg, um noch vor der Dunkelheit wieder an unserem Parkplatz zu sein. Doch bald schon müssen wir feststellen, dass dem Schrödinger der Ausflug in die Wüste gar nicht gut bekommen ist. Aus dem Motorraum ertönt ein verdächtiges Scheppern. Um nicht noch schlimmeren Schaden anzurichten, quälen wir uns mit 20km/h mühsam den ganzen Weg zurück. Den folgenden Tag verbringt Michi fast ausschließlich mit dem Kopf tief in Schrödingers Eingeweiden auf der Suche nach der Ursache für das böse Scheppern. Es vergeht Stunde um Stunde. Teile werden ausgebaut und wieder eingesetzt, doch das Scheppern findet Michi nicht. Als er schlussendlich am Abend frustriert die Motorhaube wieder zu wirft, ertönt plötzlich ein lautes „Klonk!“. Das kann doch jetzt nicht wahr sein! Der ganze Stress nur, um festzustellen, dass sich die Schrauben des Reservereifens gelockert haben. Innerhalb von fünf Minuten haben wir sie wieder festgezogen und das böse Scheppern ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Zumindest steht der Weiterfahrt nach Esfahan nun nichts mehr im Wege. Nach wenigen Kilometern schon haben wir den Stress des letzten Tages vergessen und freuen uns – über das, was wir in den letzten Tagen erleben durften und auf all die Erlebnisse, die wir in den verbleibenden rund zwei Wochen noch vor uns haben.

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